8) Pärädäis

Serie Eldorado

Freetown 2011.JPG
© Vreni Spieser. Im Hafen von Freetown, September 2011.

„Wär’s doch das ganze Jahr lang Sommer mit blauem Himmel und Sonnenschein. Braucht’ ich mich doch nicht so zu `klagen, ich hätte Freizeit bei dir zu sein. Ja dann könnt’ ich in aller Ruhe und voller Erwartung auf dich mich freun’. Azzurro, so ist der Himmel für Verliebte. Azzurro heißt blau.“ säuselt Götz Alsmann aus meinen Lautsprechern.

Blau der Himmel, golden die Bäume, mild die Luft. Freudenjauchzend raschle ich durchs Laub, wünsche den Bären einen erholsamen Winterschlaf, trage den Eichhörnchen Nüsse ins Versteck, winke einer Wildschweinfamilie nach und Bambi – PENG! – verwaist.
Das LSD verliert seine Wirkung, der Altweibersommer of Love kommt zu Fall. Die Bäume sind braun und über den blauen Himmel swoosht ein roter Pfeil.

Götz singt: „Schau dich nicht um, es ist zu Ende. Wir reichen stumm uns unsre Hände. Doch eine wunderbare Melodie klingt in dir wieder und verlässt dich nie.

Ich segle über Meere, lausche der Brandung.
Delphine, Delphine!
Palmenstrand, Kokosmilch, ätherische Öle in der Hirnwindung.
Der Spuk ist bald vorbei.
Palmöl, Vielfliegerei.
Tote Afrikaner auf Meeresgrund.

„Aber zu welchem Ende ist denn diese Welt eigentlich erschaffen worden?“ fragte Candide weiter. – „Um uns rasend zu machen“, gab ihm Martin zurück.

Allenthalben Apokalyptische Reiter, Donald und Kim und Raketen.
(Auf)Ständchen performen in, jetzt vor der Volksbühne, benannt nach Atombomben.
Luftschlösser bauen in Elfenbeintürmen.
Trillerpfeifen in Finsterwalde.
Ewige Raute.

„Nichts ist älter als das Ende der Welt.“ schreibt ein anonymes Mitglied des Unsichtbaren Komitees an seine Freunde. Und: „Neu ist, dass wir in einer Epoche leben, in der die Apokalypse vom Kapital vollständig vereinnahmt und in seinen Dienst gestellt wurde. Es ist der Ausblick auf die Katastrophe, von dem aus wir gegenwärtig regiert werden.“

„Ich fliege, oho. Und ich singe, lalalala. Die Welt da unten scheint klein. Ich bin glücklich hier oben zu sein.“ trällert Alsmann.

Blasen wir Wind in die Segel, setzen rosa Brillen auf – schau mir in die Augen Kleiner – verlieren wir den Ekel vor uns selbst, vereinigen wir uns in der Lust bis die Erde schwingt.

„Meister, wir kommen zu dir, um dich zu fragen, warum und zu welchem Beruf ein so absonderliches Geschöpf wie der Mensch eigentlich geschaffen ist.“
Was kümmert dich das?“ erwiderte der Derwisch. „Geht es dich etwas an?“ – Aber, hocherwürdiger Vater“, sagte nun Candide, „es gibt so schauderhaft viel Unglück auf Erden.“ „Was schert es dich“, versetzte der Derwisch, „ob es Unglück gibt oder Glück? Wenn seine Hoheit, der Sultan, ein Schiff nach Ägypten entsendet, macht er sich Sorgen darüber, ob sich die Mäuse darauf wohl fühlen oder nicht?“ – „Was ist als zu tun?“ fragte Pangloß. – „Halt den Mund!“ riet der Derwisch. – „Ich hatte gehofft, ich könnte mit Ihnen ein wenig über Wirkungen und Ursachen, über die beste aller Welten, über den Ursprung des Bösen, das Wesen der Seele und die prästabilisierte Harmonie schwätzen“, entgegnete Pangloß. Da schlug ihm der Derwisch die Tür vor der Nase zu.

 

8 Kommentare

  1. Hat dies auf Mia.Nachtschreiberin. rebloggt und kommentierte:
    Lieber Urs, einen schönen guten Morgen,

    „Nichts ist älter als das Ende der Welt.“
    Und jedes Jahr um diese Zeit geht die Welt mit dem Sommer ein bißchen unter, wenn der Herbst aber so wird, dass ich dein virtuose Sprache genießen kann und darf, dann soll er ruhig kommen, der Herbst, er macht mit mit deinen Worten keine Angst,
    danke für diesen genialen Start in meinen LeseSonntag,
    Mia

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    • Liebe Mia, was für eine Freude, von Dir so schönes Lob zu kriegen. Das vertreibt das düstere grau draußen gleich ein bisschen. Vielen Dank auch fürs rebloggen!
      Schöne Sonntagslektüre Dir, herzlich, Urs

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  2. Lieber Urs,

    ich lasse Rilke und seinen Herbsttag für mich sprechen

    Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
    Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
    und auf den Fluren laß die Winde los.

    Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
    gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
    dränge sie zur Vollendung hin und jage
    die letzte Süße in den schweren Wein.

    Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
    Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
    wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
    und wird in den Alleen hin und her
    unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

    Aus: Das Buch der Bilder

    Ich war auf einem Chorprobenwochenende im Vogelsberg und da gab es gestern erst einen satten Spätsommertag, dann ein abendliches Gewitter und heute morgen wabernde Nebelfelder, die sich langsam unter durchbrechender Sonne auflösten. Natur pur und dazu Schuberts Messe Es-Dur. Alles ein bisschen jenseitig und morbide und so gut….Es wird Winter werden, vielleicht sogar mit Schnee und im März werde ich wieder einen Frühling feiern! Und der nächste Sommmer wird auch kommen, wenn denn alles gut geht.
    Liebe Grüße
    Anne

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  3. Lieber Urs,

    was für ein Flug durch wogende Wellen, zwischen Naturidylle und Tod, Himmel und Hölle, oben und unten, Anfang und Ende der Zeit – existieren diese Parameter überhaupt als Gegensätze oder sind sie Eins? Jede Antwort wirft eine neue Frage auf…

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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  4. Lieber Urs,

    ich musste bei diesem deinen Post an eines meiner allerliebsten Lieder denken: At the Bottom of everything von Conor Oberst alias Bright eyes…

    Deine Art zu schreiben hat etwas Beschwingtes, fast möchte man mitschunkeln wie bei der Melodie dieses Lieds, liest man aber genau hin, hört genau zu, dann -PENG!- ist Bambi verwaist, Mensch liegen auf dem Meeresgrund und man ist angesichts des kapitalistisch verwurstelten Weltenendes mit seinem Latein am Ende, denn Antworten gibt es wohl keine… & dennoch: ein Lächeln bleibt.

    Danke!
    mo…

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