Zeus’ Pflaster

Die Gewalt, die draußen herrscht, in den Straßen, zwischen Menschen, sie dringt nur selten heraus aus den Zeitungen in seine Realität und bleibt auch dann nur eine Ahnung von dem was sein könnte, wenn… :

Es kommt vor, davon zeugte mehrfach dieser Blog, dass er sich an Orte begibt, wo Männer wie räudige Löwen im Zoogehege Runden drehen, auf der Suche nach Erlösung in düsteren Räumen, in Slings liegend, auf allen Vieren kniend, mit den Schwänzen wedelnd an Wänden stehend, abwixen, abficken, abblasen. Kommen und Gehen.

Jedes mal fragt er sich, was er dort tut, warum bin ich hier, was soll das alles–
Existenzialismus vor dionysischem Hintergrund.
Eben weil da manchmal auch zweidreivier Hübsche sind, Götter aus Griechenland, Brasilianer (garantiert verheiratet) auf Seitensprung, US-amerikanische Pornodarsteller und eine Heerschar schräger Figuren, Bosch&Brueghel.

Wochenlang kein Sex, darum ist er hier gelandet, männliche Möglichkeiten im realen Raum erhoffend. Das digitale Daten ist nicht seins, auf Fotos fand er sich noch nie attraktiv, verführen kann er nur von Angesicht zu Angesicht, Charmeur alter Schule.

Doch wie es so ist mit ewig angestauter Lust, sie verleitet nicht notwendig zum Glück, heute nicht einmal zu kurzem. Da sitzt er nun, leichtsinnig betrunken am Tresen – 2for1 – den wievielten Gin&Tonic bestellt er gerade, zwei auf einmal schafft er nicht mehr, stellt das andere Glas einem indisch angehauchten Londoner hin, mit dem er ein paar Worte wechselt, jener splitternackt.

Das wird heute nichts, also geht er. An der Garderobe zieht sich auch der Engländer an, tritt vor ihm aus dem mächtigen Gebäude, geht ums Eck und bleibt dort stehen, wo an Wochenenden sonst tausend Feierwütige stundenlang im Regen stehen.
Heute ist es gespenstisch leer, er hört nur ein Schlagen, der Zaun, der das Gebäude umgibt vibriert, ein metallisches Echo in der Luft, BÄNG!! Bäng! bäng.

Hey, do you know where I could go now?
Depends on what you’re looking for.
A Cruising Bar?
Kurz fragt er sich, wozu in eine andere Cruising Bar, wenn man eben gerade eine rammelvolle verlassen hat, whatever, unersättlich, diese Touristen.
Go to Ficken3000, it’s near Hermannplatz.
Der indisch angehauchte Brite zückt sein Smartphone, tippt und wischt, murmelt Thank you und geht davon, Kopf gesenkt, Google Maps hat ihn bereits im Griff.

BÄNG!! Bäng! bäng, was schlägt da so laut?

Er geht in die Richtung wo sein Fahrrad angekettet ist. Ein Dealer stellt sich ihm in den Weg. Hey! Suchst Du was? Koks?!? Der Typ weicht nicht aus, also muss er um ihn herum. Hey! Pillen?!? Nein Danke. Am Zaun sieht er ein Fahrrad, arg in Schräglage, jetzt sieht er auch die Gestalt, die darauf einschlägt, Fuck! Ist das mein Rad?
Genau in dem Moment, exakt genau in dem Moment als er beim Rad ankommt, fällt mit einem Klirren das schwere Kettenschloss auseinander. Das ist mein Rad! „Hey, das ist mein Rad!“ Die Gestalt richtet sich auf, großer Pflasterstein in der Hand, lässt ihn fallen, rennt unter Hohngelächter weg, zu den andern, die da herumlümmeln, ebenfalls johlend.
Schnell, mein Rad, schieben, scheint nichts kaputt, draufhüpfen und losfahren, bloß weg hier!
Sogar das Licht geht noch, uff, nichts klappert, uff.
Herzklopfend erreicht er die Warschauerbrücke über die er Slalom fährt, weil angetrunken und weil sich ihm Horden gröhlender Junggesellen auf Abschied in den Weg stellen, konfliktbereit, eine letzte Schlägerei vor dem Hafen der Ehe, warum nicht.

Hätte ich, denkt er, einen Flammenwerfer zur Hand, ich fackelte nicht lange, auf dass sie mir den Weg durch die dunkle Nacht leuchten. Aber das hier ist kein Baller-Game, obwohl sie ungelenke Tänze aufführen, diese bald verheirateten Fortniter, das hier ist real.
Real fehlgeleitetes Testosteron, vergiftete Männlichkeit. Statt mit Aristoteles im Garten spazierend zu philosophieren und ihre Muskeln gymnastisch zu stärken, marodieren sie durch Berlin. Oh möge Zeus sie mit Blitzen erschlagen, mit Pflastersteinen steinigen, von der Brücke stürzen, hängen, pfählen, vierteilen, ersäufen.

Er radelt so gut es geht nach Hause, kauft am nächsten Tag ein extra teures Fahrradschloss und denkt nicht daran, dass sein Schädel wesentlich leichter als dieses zu knacken wäre, mit so einem Ziegelstein. Er denkt nicht daran, dass sein Fahrrad geklaut wäre, hätte er auch nur ein paar Sekunden länger mit dem indisch angehauchten Briten gesprochen – hätte dieser nicht sein Smartphone gezückt und ihn statt es nach dem Weg gefragt…

Männlichkeit geht auch so: Nick Cave & The Bad Seeds – The Weeping Song
Oder so: The Communards – So Cold The Night

5 Kommentare

  1. Lieber Urs,
    mein Max durfte nach den ersten Zeilen nicht mehr mitlesen, weil er so rote Ohren bekommen hat, dass sie noch immer nicht die ursprüngliche Farbe angenommen haben, Roland, da bin ich mir sicher, hat heimlich gelesen und Scrabbie hat gelesen und laut gelacht.
    Die sind ja fast so schlimm wie die Schwestern, ihre Beschreibung für ihre Mutter und ihre Tante und das Monsta hat gesagt, bei denen wäre ich nie unters Bett gezogen, da gruselt es mich ja viel zu sehr und mir bleiben zwei Worte als Echo: *vergiftete Männlichkeit*.
    Nachdenkliche Grüße,
    Mia

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  2. Lieber Urs,

    mit deinen Worten malst du ein rauschhaftes Gemälde vom Treiben der Götter auf dem Olymp, wie es Bosch&Brueghel nicht besser hätten machen können.

    Ich hoffe, dein neues Kettenschloss schützt nicht nur dein Rad, sondern auch dich vor den Blitzen des Zeus.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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