Serie Eldorado

work in progress, 2017
Collage, Comix mit Dialogen aus dem
Film „High and low“ von Akira Kurosawa
© Vreni Spieser
Vielleicht wirbelte Xavier ein paar feine Verästelungen in seinem Kopf durcheinander. Vielleicht knickte ein Baum auf sein Gemüt wie auf Autos in den Straßen Berlins.
Vielleicht spaltete der Tag der Deutschen Einheit seinen Verstand.
Er hätte nicht eine Woche lang The Handmaid’s Tale binge-watchen sollen.
Nicht Blade Runner 2049 schauen, nicht Caligula im Berliner Ensemble.
Überdosis Dystopie. Gut gestylt immerhin: Die Zukunft sieht altmodisch aus.
Danach sah er überall nur noch Ratten, Raben und Rot wie Blut.
Misanthrop!
Es war zum Davonlaufen. Oder zum „uf’d Münschterpläfe ga Füdle möögge“*, wie sie damals in Bern zu sagen pflegten.
Also verschrieb er sich eine sonntagnachmittägliche Tanztherapie, halluzinierte unter Stroboskopen und verschmolz im Nebel mit der Hedonistischen Internationale. Füdele, füdele, füdele, bumm, bumm, bumm, zweckbefreit. Er wechselte mehrfach seinen Aggregatzustand – völlig losgelöst, triefend tropfend, elastostatisch geladen. Wäre dies das Ende seiner Tage gewesen und hätte ihn einer gefragt: Was hast Du so gemacht? Moi? Getanzt! Wäre nicht die übelste Antwort gewesen, dachte er. Im Taxi nach Hause piepste Kate Bush „Don’t give up“ im Duett mit Peter Gabriel aus dem Autoradio.
Er hätte diesen Israeli mitschleppen können, um dessen mit Tinte unter die Haut gestochenen Körper-Comic genauer zu studieren.
Stattdessen griff er daheim alleine zu Ingwertee und Ginsberg, die seine Hausdrohne vor ihm schwebend offerierte: Er möge doch auf seinen Kreislauf achten und bitte dringend eine antibakterielle Ganzkörperdusche nehmen, außerdem sei der Kühlschrank leer, ob sie beim Biomarkt – Halt die Fresse! Seinem Gefuchtel wich das kleine Helferlein geschickter aus, als jede Stubenfliege. Inzwischen kam seine Zahnbürste angeschwirrt.
Wie schnell das ging und alles sirrte plötzlich in der Luft und plapperteplapperteplapperte. Er hatte es sattsattsatt.
Lieber blätterte er im Ginsberg. Whoa! Ein gedrucktes Buch!
Tonight all is well … What a
terrible future. I am twenty-three,
year of the iron birthday,
gate of darkness. I am ill,
I have become physically and
spiritually impotent in my madness this month.
I suddenly realized that my head
is severed from my body;
I realized it a few nights ago
by myself,
lying sleepless on the couch.
(Allen Ginsberg, Patterson, Summer 1949)
Er wusste: Der große Poet konnte viel heftiger. Der dürstete dichtend, in den Arsch gefickt zu werden, als das in Amerika noch brandgefährlich war. Damals, als sich die Cowboys auf Brokeback Mountain klammheimlich in Zelten durchgenudelt hatten.
Doch er schweifte ab. Er rief die drohnende Alexa zurück und murmelte: Joe.
(Wir stellen uns Star-Trek Beamgeräusche vor.)
Da stand Gosling, in seinem Blade Runner 2049 Outfit und gab einen Magic Mike.
—And I lie here naked in the dark, dreaming
(Aus: Many Loves, Allen Ginsberg, Arctic, August 10, 1956)

*
Füdle = Berndeutsch für Po
Füdele = mit dem Hintern wackeln
Uf’d Münschterpläfe ga Füdle möögge = Auf die Münsterplattform Arsch rufen gehen
Lieber Urs,
oha, jake gyllenhall am frühen morgen noch vor dem Frühstück, da kann der Tag nur gut werden.
Mit leichtem Lächeln im Gesicht, liebe Grüße
Anne – immer noch in Berlin
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Lieber Urs,
der Orkan Xavier hat ihn wohl ins dystopische Berlin von 2049 versetzt. Die schwirrende Zahnbürste und Gosling als Magic Mike würde ich auch gerne mal kennenlernen. ;-)
Howdy
Ulrike
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