Zürich – eine Wiederannäherung. Noch bin ich nicht ganz zurück, noch fühle ich mich in Berlin zu Hause. Doch zieht mich Zürich an. Ich lasse mich packen und schreibe darüber.
Freudscher
Ist es ein Freudscher, dass ich nach wild durchträumter Nacht – in einem fremden Bett erwacht, am ersten Morgen in meinem neuen Zimmer am Milchbuck in Zürich, den ersten Text, den ich hier am Fenster schreibe, mit einem Vertipper im Titel beginne, h statt k.
Ich werte es als gutes Zeichen, dass im Vorderhaus das Kafi Freud ist, an dem ich fortan täglich vorbeigehen werde – gestern bei der Ankunft staunend, weil die Terrasse voller Menschen ohne Maske war, als wäre nicht Corona. Aus dem ausgangsgesperrten Berlin kommend, erlitt ich einen Kulturschock, als wäre ich nach Bangkok geflogen. Zudem sind in Zürich die Bäume bereits deutlich frühlingshafter grün als in Berlin, wo gerade erst die Knospen platzen.
Arsch und Bein
Heute früh stand ich fremdelnd unter der Dusche – ungewohnte Brause – meinte noch im Traum zu sein. Mir hat geträumt, ich wohnte in drei verschiedenen WG’s. Jedes Mal wenn ich kurz erwachte und wieder eingeschlafen war, in einer anderen. Ich irrte nächtens auf leeren Straßen unbekannte Hügel hoch, fühlte mich nicht verloren aber orientierungslos. So weit oben wohnte ich noch nie.
Der Milchbuck ist mir gänzlich unbekannt, bewohnt habe ich bisher nur den Kreis 4 und 5, mit Ausnahme eines Jahres an der Kornhausstraße, dort wo jetzt das Kafischnaps drin ist.
In der fremden, nicht nach mir und meinen Dingen riechenden Wohnung, ist mein Morgenritual Grünteetrinken wegen der Küchenausstattung gestört. Ich benötige eine Teekanne, die zu meiner Milchbuck-Morgenkanne wird. Ich habe von verschiedenen Modellen geträumt, wahrscheinlich kaufe ich eine im Züribrocki, unten im Föifi an den Bahngleisen. Ich werde jetzt öfter unten und oben sagen. Auch: Ich fahre hinunter und hinauf. Letzteres keuchend, die Steigung wird mein tägliches Arsch- und Beintraining. Ich werde auch wieder Velo sagen, nicht Rad. Nein, ich werde kein E-Bike anschaffen. Ja, ich werde gänzlich auf Nikotin verzichten.
Alter Herr
Weil ich also noch nicht so recht weiß, wie ich am Milchbuck aufstehen, frühstücken und erwachen soll, mache ich einen Morgenspaziergang durch den Irchelpark, wo ich noch nie war, staune über die Landschaftsarchitektur, über den Unicampus, über Schafe und Lamas (oder Alpacas), die Altherr-Terrasse, bis mir auf dem Monte Diggelmann der Kiefer runterfällt, weil sich mir eine dieser Sichten auf Zürich eröffnet, für die ich Zürich liebe; den Blick über die Stadt schweifen lassen, Übersicht haben, Überblick bis zu den Schneebergen.
Berliner Luft
Ich bin berührt, vielleicht liegt es am Mond, vielleicht daran, dass ich zum ersten Mal seit 2007 wieder ein Zimmer gemietet habe, das nur mir gehört, kein Gästezimmer, kein Gästebett, kein Sofa.
Ich bin bewegt, weil ich mich glücklich schätze, direkt vor der Haustüre Ersatz für das Tempelhofer Feld gefunden zu haben, wo ich täglich meine Runden drehen werde, bis ich jeden Baum und jeden Busch kenne.
Ich freue mich darauf, meine Gewohnheiten in die Straßen und Wege einzuschreiben, in neuen Läden einzukaufen, wo ich anfänglich alles suchen muss, weil ich das Sortiment nicht kenne und das Käsekühlregal nicht schlafwandlerisch finde.
Ich werte es als gutes Zeichen, dass die Alkoholikerin vor dem Supermarkt mich freudig begrüsst: „ Ist das eine echte Maske?“ Grinsend hebt sie eine 1l-Flasche Berliner Luft an ihre spröden Lippen.




Lieber Urs,
willkommen im Süden! Ich war früher auch immer verblüfft, wenn ich im Frühjahr von Berlin an den Rheingraben fuhr, wie weit war doch die Natur. Dein Text klingt danach, ganz neue Rituale einzuüben, zu entdecken – ich wünsche dir einen guten Start! (die Wohnung in Berlin haste aber noch, wa?)
Herzlich: Amy
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Liebe Amy, sind wir uns jetzt näher? Die Wohnung habe ich noch. Falls Du jmd. kennst, der*die ein Zimmer sucht, bitte melden!
Grüße, Urs
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Lieber Urs,
schön, wieder von dir zu lesen! Ich mag diesen Satz sehr: „Ich freue mich darauf, meine Gewohnheiten in die Straßen und Wege einzuschreiben …“ Ich freue mich demnächst mehr davon zu lesen,
ganz liebe Grüße aus dem-dann-fast-hohen-Norden,
Sabine
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Fortsetzung folgt, liebe Sabine!
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Lieber Urs,
ich hoffe, die Zürcher Frühlingsluft weht dir freundlich um die Nase und du findest auf deinem neuen Tempelhofer Feld mit Gewässer und im bergauf-bergab bald deine Orientierung wieder. Deine Neuentdeckungen geben bestimmt noch den einen oder anderen Blogbeitrag her.
Bin gespannt, mehr aus deiner neuen Heimat zu hören. Wie lange bleibst du nun dort?
Herzliche Grüße
Ulrike
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Liebe Ulrike
Ich freue mich über Deine Begleitung! Ich werde immer noch regelmäßig in Berlin sein, aber wohl jeweils kürzer als bisher (d.h. ich drehe die Verhältnisse um). Falls Du übrigens jmd. kennst der*die ein Zimmer sucht, bei mir in Neukölln ist eines frei :-)
Herzlich, Urs
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