5) Kaltes klares Wasser

Ich habe kein fließendes Wasser und denke an Nestlé. Sergio schaut Melancholia. Sophia hört „Kaltes klares Wasser“.

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© Massimo Spada. Studio preparatorio per immagine.
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© Massimo Spada. Studio preparatorio per immagine.

Wenn es nicht fließt, das Wasser, an einem Montagmorgen, und ich mich nicht wachduschen kann, dann fängt die Woche gar nicht gut an. Wie es die Fügung so will, schickt mir Massimo ausgerechnet obige zwei Bilder, die er im Studio geschossen hat.
Gut, ich wusste, dass von 6h30 bis 10h30 Wartungsarbeiten durchgeführt werden sollen. Ein Zettel der Wasserbetriebe kündigte das an der Haustüre tagelang an. Vorsorglich habe ich also am Vorabend ein paar Liter abgefüllt damit ich wenigstens meinen Frühstücksgrüntee aufgießen kann. Dabei dachte ich an Nestlé und wie der Konzern mit Wasser ein großes Geschäft macht (siehe u.a. Bottled Life).
Wasser ist für uns hier eine Selbstverständlichkeit. Man dreht am Hahn und es fließt in Trinkqualität. Wie lange noch in Berlin, frage ich mich, denn Unmengen Sulfat dringen von den Braunkohletagebauten in der Lausitz bis in die Hauptstadt vor.
Außerdem ist die Erde dabei auszutrocknen, trotz steigender Meeresspiegel. Es stehen uns Klimakriege bevor, Wasserquellen werden hart umkämpft sein.

Intermezzo:
Ungeduscht schaue ich das Video „Where the Wild Roses Grow“ an,
das Duett von Nick Cave und Kylie Minogue, der schönsten Wasserleiche der Popgeschichte.

Sergio fühlt sich nach einer intensiven Arbeitsphase ausgelaugt und einsam. In einem Kino läuft eine Retrospektive von Lars von Trier. Er sitzt im halbleeren Saal und lässt sich von Melancholia überwältigen. Wie schön hier Kirsten Dunst im Brautgewand Ophelia gleich in einem Teich floatet! Selten wurde der Weltuntergang so bildgewaltig in Szene gesetzt, untermalt von der Ouvertüre zu Tristan & Isolde. Eiskalt läuft es Sergio den Rücken runter. Er rutscht tief in den Sessel und ergibt sich dem Drama auf der Leinwand. Hat er gerade geweint? Auf dem Nachhauseweg denkt Sergio über seine Ergriffenheit nach. Das war kein Weltuntergangspathos, sondern echtes Empfinden der Melancholie, von der Triers Meisterwerk erzählt. Dieser Regisseur ist ein Teufel, schmunzelt Sergio. Und denkt dabei an Bill Viola. Wasser ist in dessen Œuvre omnipräsent. Allerdings ist Sergio die zunehmend simple christliche Symbolik zu viel des Guten. Was soll das, ein Toter auf einer Art Salbungsstein, der wasserfallartig überflutet wird und dann erst noch eine Elevation erfährt (Bill Viola, Tristan’s Ascension, gesehen 2014 im Grand Palais, Paris). Das ist natürlich sehr publikumswirksam, degradiert Kunst aber  definitiv zum kitschigen Religionsersatz für entspiritualisierte Zeitgenossen.

Intermezzo:
Kaltes klares Wasser
Über meine Hände
Über meine Arme
Über mein Gesicht.
von: Malaria!, 1981

Sophia hat einen ihrer Wave-Momente und ergibt sich Tagträumen über die 80er Jahre. Abends schaut sie den Film B-Movie – Das wilde West-Berlin der 80er Jahre und findet, dass es an der Zeit ist, wieder mal gen Norden zu reisen. Sie ruft Sergio an, der schon im Bett liegt und bucht für beide einen Flug.

Epilog: An der Haustüre klebt ein neuer Zettel der Wasserbetriebe. Am Freitagmorgen werde ich wieder nicht duschen können. Ich armer, armer Tropf!

So sieht’s am Freitag aus:

Wasseranschlussloch

10 Kommentare

  1. Lieber Urs, was für ein Drive! Ich habe Deine Dialog-Texte jetzt in einem Rutsch gelesen, nachdem ich mir eine digitale Auszeit gegönnt hatte. Wie gelingt es dir bloß, von A nach B zu hüpfen, und meinen sonst so trägen Geist mitzunehmen? Ich finde (noch) keine Worte dafür, wie ich das finde. Außer: Mehr davon.

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  2. Lieber Urs,

    wunderbar – die letzten drei Worte : ich armer Tropf ! Wasser als kostbares Gut zu begreifen und nicht zu verschwenden, das haben wir hier in Mitteleuropa noch nicht erfahren müssen. In Australien hingegen gibt es sie schon, die 3 min Duschen, die sich automatisch abstellen. Im Sommer wird Duschwasser aufgefangen, um Blumen gießen zu können, Garten wäsern ist unter Umständen ganz verboten.

    Übrigens: wurde mir richtig kalt bei der Betrachtung des Fotos. Komisch, dass ich wusste, das kann nur kühles Wasser sein, das da fließt.

    Liebe Grüße

    Hedda

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  3. Lieber Urs
    Als ich die beiden Bilder sah, dachte ich mir, dass ich sie auf jeden Fall an einem der nächsten heißen Sommertropentage in Frankfurt wieder betrachten werde. Wenn es dann nach 22.00 Uhr immer noch über 30 Grad hat, verschafft mir der Anblick wenigstens innerliche Abkühlung. Ich habe genau wie Hedda, kaltes Wasser und Abkühlung assoziiert. Die Wortkreation „Wasseranschlußloch“ gefällt mir sehr gut. Ich wünsche Dir reichlich fließendes Wasser für die Dusche am Morgen.
    Liebe Grüße
    Anne

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  4. Lieber Urs, Wasser, wenn es fließt, in seiner tiefgreifenden und alltagspraktischen Bedeutung, ein armer Tropf ohne, Melancholie im Kino, Lars von Trier, mal eben zu Bill Viola, die ich jetzt ausnamhsweise mal alle kenne und denke nur, wow, ich will hinterher, will weiterlesen und mehr solche Gedankenkaskaden… danke dafür!
    Viele Grüße,
    Sabine

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  5. Lieber Urs,

    ich finde es großartig, wie es dir gelingt, so vielfältige Assoziationen zu einem Bildimpuls in den Rahmen einer Geschichte zu flechten… Und wie viel Du zu wissen scheinst, ich hab das Gefühl, ich werde klüger beim lesen…
    Sergio ist mir übrigens sehr sympathisch. Ich sitze schon auch bisweilen im Kino oder vor dem Fernseher und weine vor Ergriffenheit. :)
    Und lustig, dass Du Nick Cave erwähnst. Ich hab seiner Zeit die Murder Ballads rauf und runter gehört und erst just „Where the wild roses grow“ mal wieder meiner aktuellen Playlist zugefügt.
    Ich sag’s ja, Zeichen überall. ;)

    lg. mo…

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  6. Lieber Urs,

    manchmal ist es gut, wenn das Wasser stillsteht – wie auf dem 1 Foto von Massimo – und eine ruhige, aber lebendige Reflexionsfläche bildet, einen Spiegel für deine Gedanken.
    Wasser ist lebenswichtig, aber wertschätzen wir es auch genug? Mir geht es auch so, dass ich das immer verfügbare Wasser aus dem Hahn als selbstverständlich ansehe. Aber den Geschmack des Berliner Wassers habe ich sofort registriert (ich trinke fast nur Leitungswasser) – besonders wenn es warm aus der Leitung kommt, schmeckt es schal. Zum Glück gibt es Teebeutel.
    Schön, wie du den Bogen schlägst über Wasser im Film und in der Kunst. Wasser ist so vielseitig – ob es Gedanken an den Weltuntergang oder die Melancholie in uns wach ruft.
    Das Bild vom Wasseranschlussloch vor deiner Haustür holt mich aus den Sphären der Fantasie auf den Boden der Tatsachen zurück. Wasser ist nicht selbstverständlich.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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