1) Der getäuschte Teufel

Serie Eldorado

Das göttliche Paradies ist kein Eldorado. Wir begegnen Aliens und ein himmelblauer VW-Bus geistert durch die Uckermark.

Bild1
© Vreni Spieser. Druckvorlage für Postkarten, zufällige Zusammenstellung. Anlässlich einer Performance im ARC in Romainmôtier konnten Besucher*innen eine Postkarte auswählen ohne das Bild zu sehen (auf der anderen Seite stand nur eine Jahrzahl). Vreni Spieser erzählte dann dem/der Besucher*in in intimem Rahmen eine fünfminütige Geschichte.

Prolog

Der Teufel galoppiert heran um eine verlorene Seele durch Dantes Inferno zu geleiten. Doch der Tote war zu Lebzeiten schon ein Satansbraten und ließ in weiser Voraussicht sein Grabmal in Tarnfarben bemalen. Der getäuschte Teufel schnaubt wutentbrannt und schnappt sich halt den Kuratoren, der vor dem Grab kontempliert: „Mit dieser ultimativ machoiden Geste camoufliert der Künstler seine Entwaffnung im Kontext des postironischen …“ Noch bevor der Kunstsinnige den Gedanken zu Ende schwurbeln kann, spürt er des Teufels Kralle sein Herz fassen und meint gar ein donnerndes „Fahr zur Hölle!“ zu vernehmen. Er saust durch den Tunnel mit dem sprichwörtlichen Licht am Ende – immerhin scheint die Quelle ein Kronleuchter – denkt er noch, bevor alles Irdische aus ihm fährt und er auf ewig seinen Platz im Höllenschlund zwischen Millionen jaulender Gepeinigter einnimmt. Zum Glück steckt er nur bis zur Nase in der Kloake und muss nicht ewig brennen, wie die ganz unten im Feuerstrom. Ach, hätte er sich statt um Kunst um Erleuchtung gekümmert! Dann wäre ihm jetzt das Paradies sicher. Doch weil er schon wieder an Kunst denkt, wird sein Kopf von Teufels Hand in den Dreck gedrückt. Prustend und hustend auftauchend schwant ihm Böses.

***

Während ich mir bloggend einen Kalauer über die Hölle erlauben kann, ist das Leben für die meisten Menschen ein einziger Höllentrip. In dieser Minute ersaufen kläglich  Afrikaner im Mittelmeer, auf dem Weg ins vermeintliche Eldorado Europa. Sie gehören zu den weltweit über 65 Millionen Menschen auf der Flucht, weil man sie dort, wo sie waren, nicht haben will, weil Krieg herrscht oder weil sie auf der Suche nach ein klein wenig Glück sind, von dem ich hier so reichlich habe. Wie, frage ich mich, kann ich über Eldorado schreiben, angesichts dieser apokalyptischen Zustände?
Die Antwort ist denkbar einfach: Wir dürfen niemals aufhören, wenigstens zu glauben an eine bessere Welt. Sonst ergeben wir uns den Kriegstreibern, die gerade wieder die Trommeln rühren.

Das apokalyptische Denken sitzt uns in Fleisch und Blut. Denn die meisten Religionen haben das Paradies ins Jenseits gerückt, als Versprechen, dass wenigstens nach dem Tod für Linientreue alles besser werde. Doch das göttliche Paradies ist kein Eldorado. Schließlich hat darin einst auch das Böse gelauert, die Frau wurde mit der Schuld beladen, die Vertreibung führte zu Mord und Totschlag. Was für ein Gott erschafft sich ein Ebenbild, das er auf Teufel komm raus ins Verderben führt? Respektive: Was für Menschen stellen sich (einen solchen) Gott vor? Der Garten Eden war nie was anderes als ein vordigitaler Überwachungsstaat in dem eine Falle lauerte, auf das der Sündenfall eintrete. Außerdem erhält zum postapokalyptischen Paradies nur Zugang, wer den richtigen Gott anbetet. Weil wir Menschen gerne vorsorgen, metzeln wir die Andersgläubigen schon mal nieder.

Dabei ist dieser Planet paradiesisch. Wie dumm nur, haben wir es allzu wörtlich genommen, uns die Erde Untertan zu machen. Da hat es unsere Spezies innerhalb kürzester Zeit geschafft, sich aus der Steinzeit an die Spitze der Nahrungskette zu hauen, mäht aber die Bäume ratzfatz ab, auf der sie gerade noch rumhangelte; nach uns die Sintflut.

Nun gut, es gibt ja unendlich viele Planeten im Universum. Anstatt für die Erde zu sorgen, senden wir bald Siedler ins All. Dort begegnen wir im Tiefschlaf auf der Covenant vielleicht Ridley Scotts Aliens, die sich über den gedeckten Tisch freuen.

Epilog

Moment! Da geistert doch gerade die Patchworkfamilie von Sophia und Sergio aus dem Dialog mit Massimo im vorsintflutlichen himmelblauen VW-Bus über ein leuchtendes uckermärkisches Rapsfeld! Auf dem Weg an den Küchentisch von Miss Novice, neugierig, was es mit diesem P. auf sich hat. Sie singen nicht etwa Kumbaya My Lord, sondern auf Wunsch des pubertierenden Nachwuchses rappt die fröhliche Gesellschaft Reime von Papagena:

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13 Kommentare

  1. Reblogged this on Mia.Nachtschreiberin. and commented:
    Lieber Urs,
    im Phantasie-Jetzt: galoppierend, dein Schreibtempo, atemlos der Anfang, voller Humor und Wortwitz, dann der Schwenk ins Auch-Heute und da nehme ich den wichtigsten Satz mit: „Wir dürfen niemals aufhören, wenigstens zu glauben an eine bessere Welt.“
    JA!
    Wie hat es Anne Frank in ihrem bis heute, mehr als aktuellen Tagebuch geschrieben: „Wie herrlich ist es,
    dass niemand auch nur eine einzige Minute zu warten braucht,
    um damit zu beginnen, die Welt zu verändern.“
    Ja und genau deshalb arbeite ich genau damit jeden Tag wieder neu und schreibe mich mit anderen in genau diese Hoffnung hinein.
    Und dann dein dritter Teil, der uns wieder zusammenführt ins Digitale-Jetzt, in den Wort-Teppich,
    danke für diesen tempo- und sehr facettenreichen Blogbeitrag,
    Mia

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  2. Lieber Urs,
    der Garten Eden als vordigitaler Überwachungsstaat mit bewußt eingebauter Erkenntnisfalle, das gefällt mir! So entzaubert man die kirchliche Scheinheiligkeit. Und dann tauchen Sophia und Sergio mit dem Rest der Patchworkfamilie im Rapsfeld wieder auf. Aber wo ist Horst? Hat er P. schon gefunden und ist ab in die Hölle mit ihm?
    Liebe Grüße
    Amme

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    • Liebe Anne,
      neinein, der sitzt doch singend neben den Gören und gibt den unterhaltsamen Onkel während er an Miss Novice denkt und sich an ihren Küchentisch sehnt :-)
      Herzlich, Urs

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  3. Oh Mensch, ich war gestern zu platt, um noch Gäste zu empfangen, harte Zeiten sind’s. Und ich will noch einmal klarstellen: P. gehört nicht in die Hölle.

    Lieber Urs,
    woher nimmst du immer wieder den Drive und die Einsichten, um all diese Puzzleteilchen miteinander zu verknüpfen? Wenn du mir so sprachgewaltig und mutig die Zusammenhänge erklärst, dann kann ich immer nur nicken, ja, genau, so ist es! Kunst und Kuratoren sind mir viel sympathischer geworden, seit ich dein Blog lese:)
    Und was heißt überhaupt 1)? Vor dem Bloggen ist nach dem Bloggen? 12 neue Folgen wie die 12 Apostel? Der Teufel soll dich nicht so bald holen, ich will mehr!

    Herzliche Grüße in den sausenden Bus: Amy

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    • Also wenn P. Kurator ist, kann ich für nichts garantieren.
      12 Apostel, daran habe ich gar nicht gedacht. Aber ich behalte die 12 bei für die Eldorado-Serie mit Vreni Spieser.
      Hoffentlich stören wir Dich nicht, mit unserem Gesinge auf der Wiese vor Deinem Haus?
      Dürften wir morgen früh die Dusche belegen? Dauert nur ca. 3 Stunden.
      Herzlich, Urs

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  4. Lieber Urs,

    absolut toll, wie es dir mal wieder gelingt, das Literarische und Phantastische mit der Reflektion und Religions- aber auch Menschheitskritik zu verknüpfen und immer ist irgendwie auch Liebe und Hoffnung und Zuversicht drin und Lachen. Das finde ich bewegend und wunderschön.
    lg. mo…

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  5. Lieber Urs,

    vielen Dank für diesen paradiesischen Höllenritt (oder umgekehrt?). Bei der Friedhofsszene mit dem Kurator musste ich sofort an Don Giovanni und Leporello (Mozart) denken. Auch wenn Don Giovanni am Ende für seine Untaten in die Hölle fährt und sein Diener sich in der Wirtschaft einen „besseren Herrn“ suchen möchte, ist der „bad guy“ trotzdem der unwiderstehliche Sympathieträger der Geschichte.

    Warum fühlen wir uns (zumindest in der Kunst) so vom dämonischen angezogen. Ich denke, weil das „böse“ oder „unmoralische“ Handeln so viel Freiheit verspricht.
    Ganz im Gegensatz zum Paradies – der Garten Eden „ein vordigitaler Überwachungsstaat“ – wie du ja so treffend schreibst, ist auch ein Ort der Einschränkungen und Verbote.

    Jenseits der Kunst hat die „Hölle“ für Menschen in Not und Armut ein anderes Gesicht. Ja, warum suchen die Menschen das Paradies im Jenseits oder im Weltall und zerstören die Erde und einander? Auf diese Fragen finde ich keine Antwort.
    Da bleibt nur die Utopie der Erzählung?!

    Freue mich jedenfalls über deine spannende neue 12-er-Blog-Serie.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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