Hätte ich mich aufregen, mit dem Willkommensbrief des Hotels Rigi Kaltbad vor der uniformierten Rezeptionistin (nicht besonders adrettes Deux-Pièce) rumfuchteln sollen, als ich mit meinem Begleiter den Zimmerschlüssel entgegennahm und Anweisungen erhielt, wann Frühstück ist, wie wir in den Spa-Bereich kommen, Umhängetasche ausgehändigt kriegten – Bademantel und -tücher, plastikverpackte Hotelschlappen, keine Hautcreme?
Nein, den Willkommensbrief legte ich im Zimmer „Vanil Noir“ (sämtliche sind nach Bergspitzen benannt) vorerst auf den Schreibtisch, weil ich und mein dänischer Liebhaber, ein Erstbesteiger, dafür gleich auf die „Königin der Berge“(so kompensiert die Schweiz den fehlenden Adel), weil ich und der Flachländer königlich (resp. königinnenlich) erkaltet, endlich in das warme Wasser steigen wollten.
So weichten wir uns stundenlang ein, in diesem Stararchitekt-Mario-Botta-Bad – Charme eines Parkhauses – saßen unter aufziehendem Nebel Japanmakaken gleich im Außenbecken und ließen uns umsprudeln, engumschlungen, die Heteropaare beobachtend, die Huckepack (stets Sie auf dem Rücken von Ihm) durch das Mineralwasser floateten. Unverkennbar schwul, wir, weil eben deutlich näher beieinander, als sich Männer in der nordeuropäischen Öffentlichkeit üblicherweise nah sind. Nicht dass das irgendwelche dramatischen Reaktionen ausgelöst hätte, außer verlegenes an uns Vorbeischauen der Männer (die wir je nach Modell ausgiebig studierten; Männer starren gerne, werden aber äußerst ungern angestarrt) und „Ach, sind die süüüüüß“- Blicke von Frauen.
Natürlich, wir leben im Jahr 2019, da wird man auch in der Innerschweiz als unvermeidliche Realität hingenommen, nicht etwa wie in Tschetschenien verschleppt und abgeschlachtet.
Dennoch. It’s a straight world. Wieder einmal „the only gay in the village“. Fast.
Hatte mich dieser vollbärtige junge Älpler im Dorfladen, der ebensogut in einer Hipsterbar in Kopenhagen Filterkaffee aufbrühen könnte, vorhin nicht angeflirtet? 100pro, mein Gaydar täuscht mich selten, außerdem catwalkte er mehrmals aufreizend lächelnd an uns vorbei, als wir auf der Terrasse einen „Kafi fertig“ tranken.
Hätte daraus ein flotter Dreier, gar eine Ménage à trois werden können? Alphütte, Geissenpeter, Käselaibe, Jodeldudeldu, Heidi dazu, Drei Öhis und ein Baby?
Mir war nie danach, zwar herz- aber auch klimaerwärmenden Nachwuchs in den sozialdarwinistischen Verteilkampf zu schicken.
Zurück im Zimmer, auf dem Queensize-Bett, nahm ich den Willkommensbrief zur Hand, WiFi und Passwort suchend.
„Liebe Familie Küenzi“ wurde ich da begrüßt. Gebucht hatte ich ein Doppelzimmer, ohne zusätzliches Kinderbett.
Hätte ich, noch im Bademantel, an die Rezeption rauschen sollen, mich zu beschweren über diese heteronormative Anrede?
Werden mittlerweile Alle inkludiert in dieses Familienbild, das nach wie vor unser Zusammenleben dominiert, Scheidungsrate zum Trotz? Erwartet die Mehrheitsgesellschaft, dass ich meinen Liebhaber heirate, oder noch schlimmer, mich mit ihm „verpartnere“ (das bloße Wort löst Brechreiz aus) und mich vermehre, Hauptsache ich zeuge Kinder – weiße, christliche Kinder?
Ist Xenophobie integrativ? Werden Homosexuelle zum Preis ‚toleriert‘, dass sie die Geburtenrate des christlichen Abendlandes erhöhen? Erklärt sich so die Widersprüchlichkeit der Rechtsextremen?


Lieber Urs,
solange es halt(ungs)lose Menschen gibt, wird es kleinkariertes Denken geben, Menschen, die nie über den eigenen Tellerrand schauen, außer dann, wenn sie sich über diesen aufregen, ihn abwerten oder gar neidisch betrachten…
Ich hoffe, ihr habt es euch trotz allem gut gehen lassen, das wünsche ich dir von Herzen,
Mia,
die etwas ähnliches anders erlebt, wenn sie ihr Leben einfach alleine lebt …
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Liebe Mia
Das Sprudelwasser hat uns ungeachtet dessen sehr gut getan! Herzlich, Urs
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Lieber Urs,
unter dem unschuldig weißen Schnee der Bergidylle verbergen sich offenbar einige tiefsitzende gesellschaftliche Erwartungen. Aus jedem Paar kann/soll/muss eine Familie werden.
Zum Glück nimmst du den brieflichen Fauxpas mit Humor. Genieße die Momente der Zweisamkeit in Umarmung. :-)
Herzliche Grüße
Ulrike
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Liebe Ulrike
Genau, ich dachte, da werden ganz schön viele Menschen unter Familie subsumiert… :-)
Herzlich, Urs
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