Sinnløch

Da wo nichts stand, keine Litfasssäule mehr, kein Verkehrsschild, woran kein rostender Fahrradrahmen angekettet war, da wo kein oranger Kübel lustig zur Entsorgung aufforderte, da wo sonst nichts stand, stand eines Nachts ein Dixi-Klo.

Max, auf dem Nachhauseweg, gerade noch zuckte er auf einer Tanzfläche namens Cosmic Hole in einer ehemaligen Griessmühle, hätte das babyblaue Plastikhäuschen übersehen, hätte sich nicht dessen Tür geöffnet, begleitet von einem enterprisigen Schiebetür-„Ksch“.
Max schaute zuerst links und rechts, ob dort irgendwelche Assis kschten und gleich ein Klappe klappen würde, nein, kein Dreh, kein Set, also lugte Max ins Plastikinnere, sah eine goldene Schüssel in neonplüschigem Raum, was für ein Setting!, als wär’s das Roses auf der O-Straße. Nein, hier ist Neukölln sagte sich Max, eigentlich war er fast zu Hause, musste aber dringend, also rein – „Ksch“.

Aus der Schüssel röhrte Hole, also Courtney Love, ihren „Letter To God“; ich weiß nicht, wer ich bin, grungegrungegrunge, please show me who I am, schrammelschrammel.
Immer kommen sie auf Gott, diese Heroinnen, dachte Max, als sich unter seinen Füßen, „Ksch“, der Boden öffnete, er samt Schüssel in einen Schlund sackte, fiel und fiel, Dunkelheit, so dark, so dark, wunderte sich, warum er nicht erwachte.
Fall, ob Sturz von einer Kreideklippe, vom Eiffelturm oder vom Thron, weckte ihn zuverlässig jeden Morgen um 6 Uhr. Kürzlich war er gar von Wolke 7 gefallen, erwachte pitschnass, weil die siebte Wolke oben besonnt, unten gewittert.

Max fiel nicht wie eine Münze in einen Wünschelbrunnen, eher rutschte er wie ein Kohlesack in einen Keller. Dunkelschwarz, am Ende ein Ring, orange, zweijahrelang algorithmisch zusammengesetztes radioastronomiertes Schwarzes Loch. Noch bevor Max sich bei IHM oder sonstwem hätte beschweren können, über die Nichtigkeit dieses Bildbeweises einsteinscher Raumzeitkrümmung, weil Max’ Loch viel größer war, viel wichtiger, Abgabeloch, Abschlussarbeit abgegeben, das Nichts danach. Nein, nicht Nichts, ein Loch eben. Ein Loch das gierig mit Lebensfragen gestopft werden wollte, was nun?, wie weiter? – noch bevor Max also bei der Ursache all dessen hätte Beschwerde einreichen können, landete er sanft in einer Röhre, einer Pariser Metrostation nicht unähnlich. Von rechts auf Schienen sogleich Karusselgetier herbeiritt, ein Ross, eine Kutsche, Dumbo, ein Pinguin (ein Pinguin?), ein Delphin, den Max bestieg und abermals in Dunkelheit glitt, überzeugt, auf Geisterbahnfahrt zu gehen.

Und tatsächlich flutstrahlten Scheinwerfer eine riesenhafte Trump-Fratze in grelles Licht, Max schrie auf und schlug die Hände vor die Augen, sah nicht, wie sich das Populistenmaul öffnete und ihn samt Delphin verschluckte, uff vorbei, nein, noch lange nicht, es folgten Kim und Victor und Marine und Geert und Christoph und Kristian und Recep und Rodrigo und Xi und Alice und Tomio und Jarosław und Jimmie und Nigel und Matteo und Beatrice und Wladimir und Ramsan und Hassanal und Jair und und und und und und und und

Und John. Lennon. Endlich. Uff. Imagine! Max stieg sichtlich erschöpft vom schnatternden Delphin, Flipper, Flipper, lalalalala, gab dem Tier einen Klaps, es flossentänzelte davon, Max winkte ihm nach, ein letzter Abschiedssprung und judihui, das Tier tauchte ab und erstickte an einer Aldi-Tüte.

Hallo Max, grinste John und streckte dem Irritierten auf der Zeigefingerkuppe ein winzig kleines Stückchen Karton hin, schlumpfbedruckt, „I don’t believe in Jesus, I don’t believe in Kennedy, I don’t believe in Beatles“ brummend.
A propos Beatles, Max zu John, das Licht, Das Licht von T.C. Boyle, da sind doch diese Hofmanns das Sakrament, und ihr, ihr Pilzköpfe seid dazu ein Soundtrack, der allerdings seltsam kalt lässt wie überhaupt das ganze Buch.
„I just believe in me – the dream is over, what can I say“. Ach John, kneif mich mal, doch John kniff nichts und niemanden, gewaltfrei seit neunzehnhundert≈ nichts wie weg hier bevor Yoko auftaucht, Plastic, oh no! Das Eis brach, bye bye ihr Zwei.

Max sah am Horizont die Schlote der Queen Mary II, New York, New York, als ein bleiches Geschöpf die Hafenszenerie betrat, Querelle! Querelle? Natürlich nicht, die Thunberg war’s, erschreckender Name, Eiger^Mönch^Jungfrau^Niesen^Stockhorn, nie mehr, bitte nie mehr das Berner Oberland, nie mehr Jugend. „XXXX“ zischte das Klimakind und focht mit einem Feuerschwert auf Max ein. „Tod Dir, Du elender Vertreter Deiner Generation, bereue den Plastik!“
Max ging in die Knie und schon düsten Millenials im Billigflug herbei, in engen Sitzreihen eingeklemmt Konzepte studierend, mit denen sie lohndumpend Max’ Job ergattern wollten.
Doch die Greta, mit allen Fukushimawassern gewaschen, deletete mit Röntgenblick sämtliche Projekt-Templates und verdammte die „why? why? why?“ Schluchzenden zum ewigen Praktikum.
„Und jetzt zu Dir, Du Technohedonist“, drängte sie Max an den Rand der Mole, der mit den Armen ums Gleichgewicht ruderte, „warum hast Du den Neoliberalismus nicht verhindert, hä?“, als im Hintergrund eine Dame erstand mit flammendem Haar drum herum Büssende Ave Maria singend die Gretchenfrage beantworteten. Max zum Kinde: „Schau, die Kirche brennt!“ Sofort zückte das um die Temperatur seiner Zukunft besorgte Wesen sein Smartphone und schoss Selfie um Selfie um Selfie und postete, postete, postete.

Auf und davon! Die Domdame jetzt ein spuckender Vesuv, brennende Giraffen und weihrauchschwenkende Messdiener, auf See eine Papstfregatte, Kardinäle, Bischöfe jedem ein Knab unterm Talar oh holy-hole-hole-holee.

Da! Freitagskinder, Äpfel empfangend aus der Hand Jobs. „Googelt nicht!“, wollte Max ihnen zurufen, zu spät, schon fielen die ersten in gläsernen Särgen in vergifteten Schlaf, während andere noch unschuldig in bunten IKEA-Ball-Bassins tobten, die Ökomahnfinger nicht erhoben, weil das Spiel, das sieht über jeden Plastik hinweg. Besungen von Nick Cave, „Children, lift up your voice, lift up your voice!“ Doch kaum war der Refrain verklungen, nahm der Bad Seed ein Buch zur Hand und begann zu lesen aus „And the Ass Saw the Angel“.
Der Weckruf schallte durch eine Botschaft in London, dieser Es/eng/el muss weg, raus, aus. „Putain!“, flucht der aus allen Körperöffnungen leakende, doch kein trolliger Russe weit und breit.

Oh Zukunftskinder, Zukunft als Freelancer im Homeoffice und schon wird Euer Zuhause zur Fabrik und Kaffee gibt’s nur gegen Co-Work.
Darob die Kinder auf den Schultern ihrer Helikoptermütter und Teilzeitväter erbleichten, zu Lichtschwertern griffen und sich in mittelalterlicher Manier von den Schleppeseln lanzten. Die Eltern, von ihrer reproduktiven Last befreit, aber nur kurz erleichtert, ertränkten sich im Blut des sich früher als erwartet selbstzerfleischten Nachwuchses, lieber Klimasuizid als aufs Grundeinkommen hoffen.

Schließlich, da!, endlich!, klaffte vor Max ein Lebensloch auf, das sich keck hula hoopend durch die Biographien derer fraß, die meinten sie seien.
Erleichtert ins Loch sprang er, um Sekunden später in seinem Bett zu erwachen. Blinzelte verwirrt und sah in den Augen eines Liebhabers seinen fernen Tod.

Und weil Ostern war und der Tod eben fern, mindestens so fern wie 2071, Max würde 100 werden, nicht nur 95, 100, wie Lawrence Ferlinghetti, weil dieser 1919 geboren worden ist und immer noch lebte, ja, Max war dort gewesen, bei City Lights in San Francisco, was für ein Jahrhundert hatte dieser Mann erlebt, Max stockte der Atem, was für ein behütetes, harmloses Leben er selbst bis heute führen durfte. Weil Ostern war, weil er atemlos war und weil sein Liebhaber, vielleicht war es dieser Künstler, der Leuten Pilze über die Köpfe stülpt und sie durch die Stadt dirigiert, Mushroomheads, Soundscapes. Gedankenmeister, ja, wenn es dieser Künstler war, dann griff Max zu „Little Boy“ und las noch vor dem ersten Kaffee laut:

„(…) and what would he ever say to the world in what language and to whom would he say it if indeed he had anything to say or would he just sing it out to the great unknown or might Little Boy be like a match struck across the night sky lighting up the universe with his laughter and genius or he could just be an echo chamber an echo of everything that was ever writ or said or sung still hanging in the eternal air the eternal dialogue of philosophers fools and lovers and losers the very tongue ot the soul sounding through time (…)“ (aus: Lawrence Ferlinghetti, Little Boy, Faber&Faber, London, 2019)

4 Kommentare

  1. Lieber Urs,
    ja, da bist du wieder, du, mein Berliner Lieblingsschweizer, und gleich wieder mit einem derart geilen Text! Möge man dir noch viel mehr Dixi-Klos mit golderener Schüssel und samtbezogen um dich herumstellen, damit sie dich auf eine solch geniale Reise schicken.
    Mehr, genau davon, lieber Urs,
    danke, ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Text dieser Art,
    ganz liebe Grüße,
    Mia

    Gefällt 1 Person

  2. Lieber Urs,
    was für ein grandioser Flug durch den Tunnel des schwarzen Lochs in die knallbunte Traumwelt. Sehr überraschend und witzig, wie die Klimaheilige Greta die Millenials zu ewigen Praktikanten macht. Die existenziellen Fragen von Max werde in diesem Text doch beantwortet: Die Zukunft liegt in der Kreativität!

    Diesen Text könntest du gut auf einer Lesebühne vortragen! Bitte mehr davon!

    Herzliche Grüße
    Ulrike

    Gefällt 1 Person

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