Der Berg ruft (No Joke)

Ein Sonntagabendquickie

Dieses Etwas, das wir Zufall, je nach feinstofflicher Empfindsamkeit auch Schicksal nennen, ist heute besonders aufdringlich, jeden Moment erwarte ich den winkenden Zaunpfahl.

Schon vor Wochen war klar: Sonntagabend 20 Uhr DT (Deutsches Theater).
Das Wochenende naht, die Woche über steigt aber auch die Lust auszugehen, zu tanzen.

Der Berg ruft. Per Whatsapp schallt er gleich mehrfach: Kommst Du auch?
Passiert sonst kaum (glaubt mir!) und sowieso kraxle ich in letzter Zeit sehr selten, quasi nie, für Einen der gerne tanzt, die Treppen hoch in diesen brummenden und wummernden Raum, der jede Zelle des Körpers in Schwingung versetzt, die Härchen an den Armen, besonders erregend im Nacken, kräuselt, aber dieses Wochenende, ausgerechnet, Drei. Plus mit größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit Einer, der seinen Besuch in der Stadt angekündigt hat (der zwangsläufig sonntags in der Disco endet, Gay Routine), von dem in einem Blogeintrag die Rede sein wird, der sich hinter dem Window Dokument5, an dem ich gerade tippe verbirgt.

Bevor ich weiter abschweife: Ich habe mich auf den Theaterabend gefreut.
Die Freude trübte sich allerdings, eingeschmiert zusätzlich von diesem Flugbegleiter aus Israel, vor Jahren angetanzt, im wummernden Raum, Shalom, Shalom, geküsst, nach Hause, ken ken, Zensurbalken, toda. Diese Woche: Hey, I’m in Berlin.
Das Date am Freitag ging sprichwörtlich in die Hose, das am Samstag nicht.
Auch er: „Hain?“
„Nein. Ich gehe ins Theater (Punkt)“

Tat heute Nachmittag, überraschende Wärme, einen Radausflug (muss ja raus bei schönem Wetter, was unternehmen, aktiv sein, frische Luft, hopphopp) in den Süden Neuköllns nach Britz, bewunderte die Hufeisensiedlung, begaffte das ‚Schloss’, entdeckte in einem kleinen Museum einen Milchbeutel (was für Instagram! @icurateyou) und irrte danach, die Hauptstraßen umfahren wollend, durch endlose Kolonien (Schrebergärten), kein Kiesweg führte hinaus.

Wieder zu Hause kämpfte ich mit erwähntem Text (als Zukunftsdisco gespeichert) hinter Dokument5 um das Fortkommen, Essay eben, ein Versuch über das Verstehen, so in der Art.

Eine schnelle Pasta.
Schneller zur U-Bahn.

DT-Schalter: „Hallo, für mich sollte eine Steuerkarte hinterlegt sein.“
„Küenzi“
„Kü–enzi“
„K. Ü. E–“ „Das ist ein Wartelistenplatz, tut mir leid. Ausverkauft. Da kann ich nichts tun.“
„Oh.“

In der U-Bahn innerlich eine Mail an die Kartenhinterlegerin aufsetzen, nein, keine verärgerte, sie wird sich wundern, warum ich doch nicht in der Bar auf sie wartete, nach dem Stück…

Dem Ruf folgen?

Wer oder was will oder will nicht?

Ich beschließe: nein. Keine Lust auf einen Montag, der sich am Jetzt beleidigt mit Morgengrauen rächt.

Trete aus dem U-Bahnschacht auf die Karl-Marx-Straße, gehe am Passagekino vorbei, am Döner, Augenpaar gestreift.

Wohnung.

Kino! In der Passage läuft Joker, ist zu schaffen, weil noch Werbung.

Wieder am Döner vorbei. Tiefer Blick, diesmal, ui, der Typ ist heiß (…).

Anstehen.

Nach einer Minute ruft der Kassierer: Joker ausverkauft! Er braucht kein Verb. (Manchmal fürchte ich mich vor seiner Grantigkeit.)
No Joke.

Zurück. Die Augen natürlich über alle Berge. F***!

Hallo Zufallsschicksal: Sitze ich jetzt zu Hause, weil ich diesen Blogpost verfassen (soll), weil ich mich damit (noch) um den anderen Post drücken kann, weil ich Netflix’ Datensammlung bereichern, die Bildschirmzeit des Smartphones verlängern, ein Vollbad (ausgerechnet heute ist es nicht kalt) nehmen könnte?

Was wird passieren?
Denn ich hatte eine Ahnung, dass ich heute Abend umsonst nach Mitte fahre.
Eine Kombination aus akutem Motivationseinbruch, verführerischen Männersilhouetten am Lusthorizont und diesem nie, niemals, auf gar keinen Fall je zu stillenden Drang zu Tanzen.
Trost: Wie luststeigernd das Hinauszögern sein kann, theatralisch und koital Zensurbalken

(Es ist 21:36, kein Vulkan ist ausgebrochen)

Vielleicht der Mond
(Sonntagabend, kurz nach 20h)

7 Kommentare

  1. Lieber Urs,
    niemand rettet einen Sonntagabend literarisch bloggend so genial wie du!!
    Mein Lieblingssatz: *Keine Lust auf einen Montag, der sich vom Jetzt beleidigt mit Morgengrauen rächt.*
    Danke, jetzt kann ich schlafen gehen und den Montag ausfallen und am Dienstag wieder werde aufwachen können, ;-)
    Mia

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    • Liebe Mia
      Da sah ich doch Dein Like schon gestern spät (und wie immer freute ich mich über Deine sofortige Wahrnehmung), und was stelle ich heute fest: Dein Kommentar ist im Spam gelandet! Ausgerechnet eine meiner treuesten Followerinnen wird vom Algorithmus abgewehrt. Nun gut, wir bleiben dran wie zwei, im Kampf gegen den digitalen Blödsinn.
      Tausend Dank für die nächtliche Anteilnahme zeitverschoben montagnachmittags (die Sonne scheint).
      Urs

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      • Lieber Urs,

        also, der Algorithmus, der traut sich ja echt was. Der soll mir mal bei Vollmond im Dunkeln begegnen!

        Herzliche aufgetankte Sonnegrüße,
        Mia,
        deine treueste Followerin,
        die sich auch von so lächerlichen Logarithmen nicht abwimmeln lässt … ;-)

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  2. Lieber Urs,
    wie schön leuchtet dein Vollmond über Berlin. Hatte gestern abend auch so einen schönen Mond am Frankfurter Himmel hängen, bin aber irgendwie achtlos an ihm vorbei gelaufen, mich noch über die befremdliche Inszenierung einer Puccini-Oper ärgernd. Dein Beitrag bringt mich auf die Spur, daraus den nächsten Blogpost zu schnitzen und heute abend den Mann im Mond ordentlich zu feiern.
    Herzliche Grüße Anne

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  3. Lieber Urs,
    dein Zufallsschicksal der ausverkauften Säle hat dich zum Kreativrausch unter Mondschein gebracht – das hat doch was für sich! Der Musenmond hat mir ja vor ein paar Tagen auch geschienen.

    Bin gespannt, welche Geschichte sich in Dokument5 verbirgt – „Zukunftsdisco“ klingt jedenfalls sehr vielversprechend.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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