Königin der Nacht

Noch sind die drei Tage nicht vorbei, die Max‘ Seele braucht, um dem Flugzeug nachzukommen, das ihn durch die Kälte der Nacht dorthin flog, wo die Sonne aufgeht.
Noch wankt und stolpert er derangiert durch die feuchte Wärme, stinkt sich aus, bis der letzte Rest europäischen Essens aus seinen Poren geschwitzt ist.
Noch will sein Körper schlafen wenn Tag ist und Action in der Nacht.
Oh, die Nächte Bangkoks, wie früh die Sonne untergeht – im winterlichen Europa würde er sich über das mangelnde Licht beklagen – kein Stern funkelt durch den Smog, umso gleißender die Reklamen, die Geschäftigkeit nimmt zu, auf jedem Meter Trottoir wird Gefälschtes verkauft und Kunsthandwerk.

Awakening Bangkok 2019 in einem historischen Viertel, Max schlendert von Lichtinstallation zu Lichtinstallation, staunt nicht über die simplen Werke, sondern über die Massen junger Menschen, wie sie Schlange stehen, um sich vor dieser Leuchtkette oder jener Projektion fotografieren zu können. Warehouse-District, Max sieht, wie die Stadt auch hier gentrifiziert. Todschicke Restaurants für Rich Kids, die nicht scheuen, ihren Reichtum zu zeigen, zwischen uralten Holzhäusern kurz vor dem Verschwinden, Blick auf den Chao Phraya, leuchtende Pagodenboote.

Awakening Bangkok 2019


Straßenränder gesäumt mit Küchenwägelchen, Plastikhocker, gegessen wird überall und jederzeit, mein Paradies, denkt Max, alles so lieblich klein portioniert, Spießlein, Reisschälchen, Süppchen.
Eine Nudelsuppe wird bald auch vor ihm stehen, direkt am Ausgang der Silom Soi 2, eine zur Clubzone umfunktionierten Gasse, 300 Baht Eintritt, zwei Drinks inklusive, Showtime um 23:00 in der DJStation, Krokodilstränen ob der an Kitsch nicht zu übertreffenden Dragshow; Federn, Diamantkrönchen, Pailletten, Backgroundtänzer, die immer knapp daneben einer Choreographie folgen und breit darüber hinweg grinsen, Hauptsache es macht Spaß, wer will es schon genau nehmen.
Danach die immergleiche, fürchterlich billige Musik, viel zu viele BPM, quietschend wie vollbremsende Autos, dahinter verbergen sich Melodien, die Max altersbedingt nicht zuordnen kann, wahrscheinlich Rihanna oder Beyoncé, halt!, unter der Soundlawine ist auch Madonna zu erkennen.

Er wird auf der Tanzfläche auftauchen. Sie werden sich in die Arme fallen, zwei Jahrzehnte Altersunterschied und ein Kontinent Distanz verpuffen. Sie werden sich angrinsen bis zum Gesichtsmuskelkrampf. Max und dieser Künstler, den er vor zwei Jahren an seinem zweiten Tag in Bangkok ebendort kennenlernte, zum allerersten Mal auf asiatischem Boden, diese Gesichter, manche mit Augen so schmal, Gesichter so flach, einige mit erdig brauner Haut, andere fahl wie Leintücher, vom Minimensch zum Hühnen (Hunne?), kaum ein Gesicht faltig wie das von Max, dieser Langnase, sie studieren ihn wie er sie studiert, nur Milisekunden direkt in die Augen, meistens zielt ihr Blick haarscharf neben den Pupillen vorbei, er ist in der Schwulenhochburg Bangkok, dem Berlin Asiens, liberaler als umliegende Länder, alle kommen sie her, ob aus Myanmar oder Malaysia, Korea oder Kambodscha, unfassbar, so viele Ethnien die er noch nie sah, weder im Film noch bei Benetton.
Da stehen sie also, Max und der Künstler, es ist wieder Sonntag, es ist wieder der zweite Tag, nicht genau zwei Jahre her, aber fast.
Sie trinken, sie tanzen, sie trinken, sie tanzen, sie kippen auf die Straße, sie hocken hin, sie schlürfen Suppe, spicy! Hinter ihnen Taxilawinen, über ihnen spannt die brutalistische Betonkonstruktion des Skytrains.

Max kann kein Wort Thai, der Andere kaum ein Wort Englisch, dann und wann ein „you happy?““Oh yes!“ Dank einem Babelfisch können sie sich verständigen, Max spricht so kurze Sätze wie möglich ins Samsung seines Gegenübers, dieser singt seine Sprache, Max denkt an Bern, als säße er an der Aare unter der Kornhausbrücke und nicht in Bangkok unter dem Skytrain, denkt an zwei der wohl typischsten berndeutschen Wörtchen: Gäu und Äuä, letzteres meistens zum Äuäääää gedehnt, könnte Thai sein. (Für die deutschen Mitleser*innen: Ä wird in Bern nicht wie E ausgesprochen.)

Später, das Wiedersehen führte ihre Körper noch näher, via „You King or Queen?“
Max gröhlte lauthals und stöhnte alsbald auf, zur Königin der Nacht gemacht.

So lautet die Devise für das thailändische, alles entscheidende Lebensgefühl:
Sanuk – Spaß haben.

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