Drohnenuntergang

Früher
Ich bin im Alter angekommen, in dem ich Sätze immer öfter mit Früher beginne und dieses Früher Jahrzehnte her ist und eine andere Ära war.
Früher kam nach dem Urlaub der Tag, an dem dicke Umschläge voller entwickelter Erinnerungen im Briefkasten lagen, endlich!, überraschend und enttäuschend zugleich, weil manch missratenes Bild darunter, rotgeblitzte Augenpaare, verwackeltes Abendrot, überbelichtete Sacre Coeur, schiefe Twin Towers, trotzdem rauschte das Meer wieder, winkte der Ferienflirt, ging die Sonne ein letztes Mal knallrot unter.

Heute, endlich! schon zwei Wochen zurück in den Heimaten, zuerst Zürich, jetzt Berlin, verbinde ich Telefon und Rechner mit der Absicht mit einer Brise Bilder aus dem Süden meine Seele zu wärmen und Anschauungsmaterial zum Bloggen herunterzuladen, einen Sonnenuntergang mit Extra, über den ich schreiben will, würde mich der Computer nicht mit der Aufforderung gängeln, ihn zu aktualisieren. Jetzt auch noch der.

Cyborg, oder wie ich mich mit mir verbinde.

Wochenlang habe ich mich gedrückt, nein, auf später geklickt, tagtäglich verlangte auch das Telefon nach Update, es war ihm egal, dass ich Ferien hatte und nicht gestört werden wollte, nicht vom Gerät, von den damit Verlinkten meinetwegen, habe ja posaunt, wo immer ich war, subito geliked und darüber gefreut. Ach, diese Aufmerksamkeit.

Entweder ich verweigere mich den elektronischen Bedürfnissen nach neuer Software weiterhin, schaue also die Fotos vorderhand in Kleinstformat an (daumen- und zeigefingernd zoomend) oder ich ergebe mich.
Ich ergebe mich.
Moment.

Noch ungefähr 1 Sekunde.
(Warum steht die angegebene Zeit stets in ungünstigem Verhältnis zur verstreichenden?)

Die Software kann aufgrund eines Netzwerkproblems nicht geladen werden.
Einzige Wahl: OK
Klick
FUCK.

Im Urlaub träumte ich mehrmals, ehrlich!, wie ich mein iiiiPhone zerstöre, trampelte Rumpelstilzchen gleich darauf herum, warf es wie Prinzessinnen Frösche an Wände werfen an die Wand (keine Verwandlung, kein Prinz), schmiss es in hohem Bogen über eine Klippe und zuletzt bearbeitete ich seine verflucht abweisend schwarzglasig glänzende Oberfläche mit einem Hammer. Ich erwachte nie schweißgebadet, aber irritiert ob so viel schlummernder Technophobie.
Die ich hier und jetzt nicht unbegründet finde.
Nein, ich will nicht aus der Mojave-Wüste steigen, lieber Steve im Himmel, weil sämtliche installierte Programme schon längst die Gnadenrunde drehen, auf dem alten Laptop, den Du, Steve in der Hölle, mich zu ersetzen zwingen willst.
Gibt es im Fegefeuer auch zu wenig Speicherplatz?
Nicht auf deiner Cloud, elender Wurm im Apfel!
Und wie sie leuchtet, die Vertreibung aus dem Paradies, auf dem silbernen Rücken dieses dünnen Dings ohne aufgedrucktes aber ständig drohendes Verfallsdatum.
Schnipp-schnapp-schnippisch himmle ich die viel zu zahlreich fotografierten Sonnenuntergänge halt weiterhin wischend an.

Betrachten Sie, liebe Leser*innen, diesen Untergang:

Untergang mit Drohne bei Nong Khiaw, Laos

Genau. Eine Drohne.
Stellen Sie sich bitte vor, dass überall im Paradies, also überall dort, wo nicht hier ist (plus Urwald oder Sandstrand mit Palmen), dass dort wo Sie hingehen, um einen Sonnenuntergang zu sehen, also dort wo der Sonnenuntergang angeblich besonders bezaubernd und damit sehenswerter als woanders scheint, eine Drohne vor diesem besonderen Sonnenuntergang sirrt. Drohnen sind laut. Drohnen werden ausschließlich von Männern ferngesteuert. Diese Männer sind meistens von anderen Männern umringt und führen Gespräche, die früher auf Parkplätzen vor Ferraris geführt worden sind.
Denken Sie sich dazu sämtliche Aussichtspunkte voller als der Affenfelsen im Berliner Zoo.
Wenn Sie das nicht können, besuchen Sie die Monkey Bar.

Es ist voll geworden.
Alle wollen Alles sehen.
1:1, nicht 16:9 oder 10cm x 15cm.
Nicht auf Papier, nicht im TV, nicht auf Instagram. In Echt.
Weil wir es auf Instagram gesehen haben wollen wir hin.
Wollen grammen, was andere gegrammt haben.

Den letzten Sonnenuntergang den sie schauten, sahen sie mit Brettchen vor dem Kopf.

13 Kommentare

  1. Lieber Urs, auf die Drohne im herrlichen Sonnenunterganghimmel kann ich gerne verzichten, heute und morgen, gestern und früher … Nicht aber verzichten kann ich auf das herrlich entspannte Lachen bei dem WortBild, dass das Rumpelstilzchen in mir produziert hat, danke dafür …:)
    Grinsende Grüße,
    Mia
    P.s.: Früher habe ich deinen Blog schon gelesen, gestern auch, morgen wieder, wenn nicht gerade ein Softwareupdate … :-)

    Gefällt 1 Person

  2. Lieber Urs,
    früher war ja auch mehr Lametta…..
    Ich hab mich sehr amüsiert über Dein Gezacker mit dem sich updaten wollenden Digitalkrams. Das kenne ich nur allzu gut, Eigendynamik entwickeln bei mir PC und Smartphone auch wenn ich einfach in Frankfurt bleibe. Und Drohnenbesuch habe ich an Weihnachten erhalten. Offensichtlich haben Mitbewohnerväter aus dem Haus ihren Kindern kleine Dröhnchen unter den Weihnachtsbaum gelegt und mussten sie dann hier auf dem Parkplatz ausprobieren. Das war ein Gesumme und Gebrumme! Blöd nur, dass eine von diesen Teilen bereits auf dem Parkplatz zerschellt ist. Da hat der Papa nicht schnell genug gebremst und der Filius dann geheult. Das was früher die Carrera-Autobahn war, ist heute offensichtlich die Drohne.
    Aber ich finde Sonnenuntergang immer noch schön……
    Liebe Grüße
    Anne

    Gefällt 1 Person

    • Liebe Anne
      Ich wusste, dass ich mit Dir eine Mitleidende habe! Stell Dir vor, dass bei Dir die Post künftig per Drohne falsch zugestellt wird (ich freue mich auf Deine Blogeinträge wenn es soweit ist!).
      Ich dachte, Drohnen dürfen in bewohnten Gebieten gar nicht fliegen?
      Herzlich, Urs

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      • Lieber Urs,
        auja, das gibt Superfood für meinen Blog, wenn die Post mit Drohnen zugestellt wird! Keine Ahnung, ob Drohnen nur in freier Wildbahn fliegen dürfen. Die, die hier flogen waren relativ klein, vielleicht gibt es die als Spielzeug und die dürfen dann??? Oder die Erwachsenen kümmern sich nicht um solche Verbote. Würde zu denen passen. Wie auch immer, ich habe sie seit Weihnachten nicht mehr gesehen.
        Liebe Grüße Anne

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  3. Lieber Urs,

    lass uns vor der digitalen Götterdämmerung noch ein Selfie mit Sonne machen!

    Mein Lieblingssatz: „Gibt es im Fegefeuer auch zu wenig Speicherplatz?“
    Das macht doch Hoffnung! :-)

    Herzliche Grüße mit Update
    Ulrike

    Gefällt 2 Personen

  4. Lieber Urs,

    mir geht’s wie Sabine, ich kann das alles sehen! Als wäre man dabei, während du haderst und wetterst…

    Meine Lieblingsstelle: „Gibt es im Fegefeuer auch zu wenig Speicherplatz?
    Nicht auf deiner Cloud, elender Wurm im Apfel!
    Und wie sie leuchtet, die Vertreibung aus dem Paradies…“
    Und wie erhellend, geht mir doch gerade auf, warum ausgerechnet ein angebissener Apfel so manchen digitalen Dealer ziert…
    :)

    Gar allerliebste Grüße!
    mo…

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    • Liebe Mo
      Unglaublich, aber wordpress hat Deinen Kommentar doch tatsächlich als Spam kategorisiert, ich vermute es liegt am langen Zitat aus dem Blogpost… :-)
      Danke, für die Begleitung!
      Auf bald, im Harz, herzlich, Urs

      Gefällt 1 Person

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