Mein Lebensziel war ja bisher auch nicht die totale Effizienz, oder eine immer effizientere Maschine zu werden. Oder hab ich da was falsch verstanden?
Andre Wilkens, Analog ist das neue Bio
50×50, Tag 29
50 Tage lang, vom 7. Dezember 2020 bis ich am 25. Januar 2021 Fünfzig werde, blogge ich täglich zu dem was war, was ist und was sein könnte. Jeden Tag komme ich der Gegenwart ein Jahr näher aus der Vergangenheit (beginnend mit 1971) und der Zukunft (von 2071 zurückzählend).
Was bisher geschah: Weder im Schnee noch im Café del Mar tippte ich meine erste E-Mail in der ich Sibylle Berg für das modische Draußen die Schuld gab und den nur noch ironischen Sex. Max und Ben lagen am Ufer des Waldsees endlich allein.
(Vortag: Emaille / Folgetag: Sugar, Baby!)
Milchbüchlein
2021
Gestern vollzog ich die menschheitsgeschichtlich junge Kulturtechnik des Updatens. Monatelang verlangte mein ‚Telefon’ nach iOS14.3, es versuchte es zu allen Tageszeiten, es pochte auf einen Termin, es wollte mich gar zu nächtlicher Aktualisierung überreden, während ich schlafe (!). Ich blieb hart. Vom Kühlschrank lasse ich mich auch nicht zum Milchmann schicken. Allerdings tut so ein Schrank auch nicht dumm, wenn man von Kuhmilch auf Hirsemilch fürs Müsli (Hirse soll gut sein gegen Haarausfall) und Hafermilch für den Kaffee umstellt. Er will auch keinen Code, nachdem ich ihn gefüllt habe (wie lange noch?). Apps hingegen, die sind renitenter als ich und sämtliche Altersheiminsass:innen abgehängter Regionen und verlangen mehr von mir als die Generation Z vom Lehrpersonal.
Weil ich neuerdings Gleitsichtgläser trage, nahm ich im Kleingedruckten einen Satz wahr, der sich liest, als wolle mir Apple Tarot legen:

GRATIS !
1999
1999, als ich mein erstes Handy gratis zum Mobilfunkabo erhielt*, konnte ich nicht ahnen, dass Menschen im Silikontal nichts wichtiger ist, als eine Maschine zu entwickeln, die lernt, wonach ich wahrscheinlich suchen werde.
Weil ich nicht weiß, wo ich die Kategorie ‚Vorschläge’ finde, wische ich nach rechts und grinse über das was sich mir zeigt.

Smart! Das Gerät wußte, dass ich wahrscheinlich nach Inhalten suchen werde , die ich brühwarm bloggen kann!
1999 schloss ich also einen Mobilfunkvertrag ab und sendete meine allererste SMS aus dem Lorrainebad an der Aare und fand das ganz verwegen, so eine Textnachricht zu verschicken, was in der Schweiz bald „ässämmässlä“ genannt würde, mich auf einer Liegewiese sonnend, umgeben von Freund:innen. Ich schrieb, dass ich jetzt ein Handy habe, an jemanden, der auch eines hatte. Und neben mir lag.
Damals verabredeten wir uns privat manchmal Wochen im Voraus und wenn wir keine Verabredung hatten, trafen wir immer bekannte Gesichter in Stammkneipen, angesagten Orten, Parks und Badeanstalten.
Es war ein Kommen und Gehen und Schön Dich zu sehen.
Noch kein Überall und Nirgends zugleich.
Es würde noch ein paar Jahre dauern, bis das Handy auch für die private Kommunikation, überhaupt für die gesellschaftliche Teilhabe, zur Voraussetzung wird.
:-)
1999 arbeitete ich als Freier Mitarbeiter im Stadtressort der Berner Zeitung. Um keine Aufträge zu verpassen, also schnell erreichbar zu sein, schien mir die Anschaffung eines Mobiltelefons sinnvoll.
Im selben Jahr schloss ich das Journalistik-Studium an der Uni Fribourg ab. Zur Prüfung im Fach Presse sollten wir einen Laptop mitbringen, worauf wir die Prüfungsleistung, einen Artikel zu einem vorgegebenen tagesaktuellen Thema schreiben sollten. Abzugeben als Audruck. Vor Ort gab es einen Drucker. Weil es dauern konnte, diesen zu Konfigurieren, wurde um frühzeitiges Erscheinen gebeten. Wer nicht schon beim Versuch gescheitert war, einen Laptop aufzutreiben, verzweifelte spätestens jetzt. Die meisten bildeten Allianzen. Sie schrieben von Hand und würden kurz vor Abgabe den Text in einen der wenigen verkabelten Laptops tippen und ausdrucken.
Da ich bei der Zeitung arbeitete, fuhr ich morgens mit dem Zug von Bern nach Fribourg, holte die Aufgabe, fuhr zurück nach Bern in die Redaktion, schrieb und layoutete meinen Artikel an einem Desktopgerät und war nachmittags rechtzeitig zur Abgabe des Ausdrucks wieder an der Uni.
Bericht aus der Steinzeit? Von wegen. Siehe Homeschooling.
Maison Du Futur
2043
Max müsste jetzt die Schreibmaschine zücken, um das Analoge in die Zukunft zu retten.
Dazu müsste er aber von Ben herunterrollen, auf dem er liegt.
Er zeichnet ihm deshalb die Mitteilung auf die bebende Brust:
<3
* Die Handies kosteten anfänglich tatsächlich nichts, resp. sehr wenig, wurden also nicht in Raten abbezahlt wie heute. Damit beschleunigten die Netzbetreiber die Verbreitung der Mobiltelefone massiv. Heute ist das Prinzip allgegenwärtig: Schenke den Leuten den Drucker, verlange aber horrende Preise für die Tinte.
Eingangszitat:
Andre Wilkens: Analog ist das neue Bio. Ein Plädoyer für eine menschliche digitale Welt. Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2015. S.179
Lieber Urs,
heute wie gestern, digital seit Jahren gewollt, gefördert und angeblich gefördert und ebensowenig gekonnt:
*Bericht aus der Steinzeit? Von wegen. Siehe Homeschooling.* Könnte ergänzt werden mit Homeoffice, das nichts anders ist, als erweitertes analoges Arbeiten, je nach privater Aussattung, die zur Voraussetzung wird.
Liebe Grüße
Sabine.
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BYOD – bring your own device, lautet die Zukunftsformel der Arbeit
🙂
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Ja, das erlebe ich jeden Tag und finde es trotzdem nicht gut, auch wenn es die eigene Kreativität enorm und neu fördert, die wird aber nicht extra bezahlt …. ByOC ;-)
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Ach, wer arbeitet heutzutage noch für Lohn, wenn er/sie am Palmenstrand so tun kann als ob?
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Alles gesagt! Bleibt tapfer, ihr Telewörker.
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Telearbeit, auch so ein schöner alter Begriff!
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