Er wollte sich fern haben. Sich aussperren, wie man einen Hund aussperrt, der noch bettelt nach dem letzten Stückchen Fleisch.
Anja Kampmann, Wie hoch die Wasser steigen
50×50, Tag 47
50 Tage lang, vom 7. Dezember 2020 bis ich am 25. Januar 2021 Fünfzig werde, blogge ich täglich zu dem was war, was ist und was sein könnte. Jeden Tag komme ich der Gegenwart ein Jahr näher aus der Vergangenheit (beginnend mit 1971) und der Zukunft (von 2071 zurückzählend).
Was bisher geschah: „Bildung!“, sagte ich und beschloss Master zu werden.
(Vortag: Quo vadis? / Folgetag: Glow in the Dark)
Dämonen
Die Ängste greifen in der Nacht an, wenn Du um 2:00 Uhr erwachst, ist es schon zu spät, ein gemeiner Gedanke hängt mit Enterhaken in den Hirnwindungen fest, zerrt, reißt Wunden ins Fleisch. Die Ängste haben viel damit zu tun, dass neben dir Keiner liegt, der dich festhalten würde, sie zielen präzise auf deine Einsamkeitsgefühle, sie rütteln am fragilen Gerüst, das Du dir in Zeiten des pandemischen Alleinseins gebaut hast, zerfleddert werden die Transparente die daran hängen, dieses Du schaffst das, Du kommt da durch, aber was kommt danach? Du bist stark, bald ist es vorbei, nur noch ein paar–– wie lange denn noch?
Du wärst auch ohne Corona alleine, peitscht dich der nächtliche Dämon, Du wirst 50, Du wirst ihn auf Zoom feiern, die Uhr tickt, die Fenster schließen sich, unter dem Maibaum tanzt Du in der hintersten Reihe, bei den ewigen Jungesellen, den beziehungsunfähigen Stadtneurotikern, den Kurligen, den Schrägen, wie damals im Schulsport, immer zuletzt in die Mannschaft gewählt.
Du könntest dir einen runterholen. Vielleicht schläfst Du dann wieder ein. Du könntest aufstehen, einen Whiskey kippen, einen Joint drehen oder Runden im Wohnzimmer.
FUCK THIS WORLD!
Die Stimmung zieht sich in den Tag, deine Kraft ist weg, dein Mut zerstäubt. Dein Wille reicht gerade noch für einen Mittagsspaziergang, allerdings hast Du dabei das Gefühl man starre dir in die offenen Wunden, Ja, Ja, schaut nur, ihr paarweise Promenierenden!
ICH BIN ALLEINE!
Die Hand in Hand Gehenden möchtest Du auseinander reißen, den Hundehaltern die Köter töten, die Joggergruppen wünscht Du unter Lastwagenräder.
Wo sind bloß Deine Durchhalteparolen parole, parole, parole.

In The End
Beim Suppengemüse schnippeln (Sellerie) fällt mir das Mantra wieder ein, True Love, True Love, True Love will find you in the end, wie Daniel Johnston sang– aber wann kommt es, dieses Ende, huhu, hier, ich bin hier, hallo; am Ende aller Tage? Wie fern ist der Horizont von schlussendlich, schluss ende aus?
What’s love got to do with it, singt kurz Tina dazwischen, da ahne ich, in meinen Synapsen funkt noch Resthumor.
TRUE LOVE, skandiere ich. TRUE LOVE, erinnere ich mich, steht auf Pulswärmern der Modedesignerin Christa Michel, mit der ich vor Ewigkeiten im Migros Museum an der Kasse gearbeitet hatte. Ich ziehe sie sofort an und werde sie die kommenden Tage tragen. TRUE LOVE ist das Motto des Hotels Beau Séjour, wo ich im Mai den nächsten Schreibworkshop veranstalte. TRUE LOVE ist allenthalben auf Hauswände gesprüht. TRUE LOVE, egal wie sehr dich die Welt fickt– Fuck The World– will find you in the end, this ist the end, my lonely friend, the end // not the end! not the end!
Maison Du Futur
2025
Max wünschen wir (ja, wir alle zusammen, liebe Leser*innen), dass er an seinem Geburtstag im Jahr 2025 mit einem ihm Holden irgendwo in südlichen Gefilden turtelnd die Sonne ins Meer sinken sieht. Wenn es kühl wird gehen sie zurück ins Haus, wo Freunde das Abendessen zubereiten. Sie lassen Sektkorken knallen und nach dem Essen drehen sie die Musik auf und tanzen auf der Terrasse bis der Hahn kräht.
Eingangszitat:
Anja Kampmann: Wie hoch die Wasser steigen. Hanser, München, 2018. S.35
Lieber Urs,
ah, da ist Omas Sellerie, den du doch gar nicht brauchst, wenn das Bett kalt und leer … vielleicht sind die kackbraunen Pulswärmer schuld? Nein, nein, nein! To me your are perfect (Film erkannt?). Mir wird das Sich-Finden und Übrigbleiben jedenfalls bis zum Ende meiner Tage ein Rätsel bleiben, nicht nur beim Schulsport.
Es herzt dich das späte Mädchen Amy und wünscht dir einen magischen Sonnenuntergang mit deinem Holden, spätestens in vier Jahren.
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Liebe Amy
Du wirst unter den Tanzenden sein!
Hugs, Urs
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