Riviera Zürich (Sommertagtraum II)

Warum schnell, wenn es auch langsam geht, frage ich mich, der zeitgeistigen Entschleunigung huldigend, als der Nachtzug, in dem ich mit verklebten Augen versuche, meinen verspannten Rücken zu dehnen, um 7h20 in Basel SBB ankommt, um erst eine halbe Stunde später gemächlich nach Zürich weiterzurollen, so langsam, dass ich anschieben möchte, wo er erst nach 9h endlich ankommt aber wesentlich früher hätte ankommen können, die Strecke wäre locker in 50 Minuten zu schaffen, egal, schön war die Aussicht in die Schweiz, so grün.
Nume nid gsprängt, denke ich, als ich schlaftrunken – ich muss mich wieder ans Schlafen im Zug gewöhnen, mir träumte ich fahre Ski, das Schwanken des Zuges – meinen Markenkoffer mit Garantie rolle, der sich in den blitzblanken Neubaufassaden der Europaallee spiegelt, zwischen eiligen, geschniegelten letzten Pendlern (in Berlin wäre erst jetzt Rush Hour), Richtung Nietengasse, jenseits der Langstrasse, wo menschengehandelte mit Drogen flügelgestutzte und gefügig gemachte Arbeiter*innen jeder Couleur (außer weiß) Sex zum Frühstück anbieten.
Ich beschleunige, will so schnell wie möglich an den Letten, in die Limmat, mich treiben lassen, noch tropfend Kafi&Gipfeli, müsste mich nicht beeilen, denn auch langsam begangen sind alle Wege kurz und das Wasser ist überall, Riviera Zürich.
Wohlig seufzend lasse ich mich in den Kanal gleiten, lege mich auf den Rücken, Morgensonne im Gesicht, jauchze innerlich, Was für ein Leben!
Da wo ich schwimme, starben in den 90ern Junkies elender als Fliegen.
Vertreibe die Weiße Wolke, die mir mein Privileg verdunkeln will.
Nicht hier, nicht jetzt.
Radle mit noch nassem Haar gen Büro.
Es muss verdient werden.

6 Kommentare

  1. Lieber Urs,
    guten Morgen, ich freue mich wieder mal von dir zu lesen und stelle dir gleich mal meinen Lieblingsssatz vor:
    *müsste mich nicht beeilen, denn auch langsam begangen sind alle Wege kurz*
    Nehme den jetzt als Motto mit in meinen Urlaub,
    herzliche Grüße,
    Sabine

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  2. Lieber Urs,

    faszinierend, wie sich an diesem schlaftrunkenen Morgen harte Realität und genießerischer Traum überlagern. Riviera und tote Junkies – in diesem Fluss fließt alles zusammen.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

    PS: Irgendwie hat mir dein Text paradoxerweise Lust auf eine Fahrt im Nachtzug gemacht. Habe dazu nostalgische „Mord im Orient Express“-Assoziationen.

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    • Liebe Ulrike
      Ach wären doch die Nachtzüge noch so komfortabel wie zu Hercule Poirot’s Zeiten!
      Dann könnten wir gemeinsam einen Mord aufklären auf der Fahrt an die Riviera :-)
      Herzlich, Urs

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  3. Lieber Urs,
    vor ein paar Tagen bin ich ja in den Genuss einer Fahrt mit dem Nachtzug nach Wien gekommen. Leider ist mir Hercules Poirot nicht begegnet und der Komfort war sagen wir „militärisch“. Die Liege so breit wie meine Schultern und hart wie ein Brett. Immerhin hat der Zugbegleiter morgens um 6 Uhr heißen Tee an mein Bett gebracht. ;-)
    Fährst du bald wieder mit dem Nachtzug nach Zürich, oder war das Erlebnis zu sonderbar?

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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    • Liebe Ulrike
      Gestern bin ich erneut schlaflos in Zürich angekommen, nach einer Fahrt im Schlafwagen. Diesmal mit Dusche im Abteil, die aber nicht funktionierte. Tja. Die Zeiten sind eindeutig nicht mehr so luxuriös wie zu Poirots Zeiten :-)
      Ich hoffe Wien war trotz Gliederschmerzen ein schönes Erlebnis?
      Herzlich, Urs

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