6) Lana sieht den blauen Planeten

Serie Eldorado

Fukushima_klein
© Vreni Spieser. Präfektur Fukushima, in der Nähe von Iwaki, August 2016
Radioaktiver Abfall

Lana Del Rey mit Ökostrom, Jenny Erpenbeck auf Papier und Patti Smith im Kopf

In einem ICE bewege ich mich gemächlich von Berlin nach Zürich. Mit Ökostrom angetrieben, verspricht meine Bahncard 25. Im brandenburgischen Flachland, das wir gerade durchqueren, stehen Windparks, diese hässlichen Zeugen unseres Energiehungers. Doch lieber Räder beim Drehen sehen als Atommeiler beim Dampfen. Oder Rauch von Kohlekraftwerken, die Deutschlands CO2-Bilanz arg verschlechtern. So sehr, dass das Land das Klimaabkommen von Paris kaum einhalten wird.

Buße tun im Zug

Während ich mir wünsche, der ICE führe mit mindestens 300 km/h Richtung Süden, rasen Autofahrer auf deutschen Autobahnen mit über 200 Sachen in den Tod.
Anstatt ein richtiges Hochgeschwindigkeits-Zugnetz zu bauen, setzt man hierzulande auf Blechbüchsen mit durchschnittlich etwa eineinhalb Personen drin.

In einem ICE erinnere ich mich immer daran, wie ich in unter fünf Stunden von Brüssel über Paris nach Marseille gesaust bin. Das war keine Zauberei sondern ein TGV.
So stellte ich mir die Zukunft vor, als ich ein Teenager war und Europa ein Hochgeschwindigkeitsnetz plante. Diese Pläne (wie auch die Nachtzüge) sind inzwischen Billigfliegern geopfert worden.
Und fahren mit der Deutschen Bahn fühlt sich an wie ein Bußritual.

Bereit für den Nahkampf

Ich hielt immer die USA für das Parade-Autoland. Es ist Deutschland. Nur hier gilt keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Hier subventioniert der Staat die Karossen großzügig. Hier werden Grenzwerte ignoriert, weil es politisch opportun ist.
Jetzt wird das E-Auto als Lösung gepredigt, als ob das sauberer wäre. Als ob es je so etwas wie ein sauberes Auto geben wird. Das scheint den Kunden egal, die kaufen fleißig Panzerwagen, Hauptsache groß. Mittlerweile ist jedes Vierte verkaufte Auto ein SUV. Damit blockieren und verpesten die für den täglichen Kampf gerüsteten Fahrer die Straßen und besonders beliebt: die Radwege.

Server kühlen

Wann war Fukushima? WLAN im ICE sei Dank, kann ich das googeln (hoffend, dass die Server nicht mit Atomstrom betrieben werden). Das Netz ist aber noch langsamer als der Zug.
2011 natürlich. Inzwischen hat sich die Strahlung in alle Weltmeere verteilt. Man soll auf Fisch verzichten. Strahlung habe ich schon 1986 abgekriegt – ich musste wieder googeln – in der Tagesschau dargestellt als grüne Wolke, die über Europa zieht. Es hieß, man solle keine Pilze essen.

In Athen habe ich mich diesen Frühling auf diesem Blog gefragt, was von unserer Zeit bleiben wird. Die Strahlung. Der Dokumentarfilm „Into Eternity“ von Michael Madsen über das finnische Endlager für Atommüll Onkalo erzählt eindrücklich von diesem Erbe.

Endlich Lana

„Blue ist he color of the planet from the view above“ säuselt gerade Lana Del Rey von ihrer neuen Platte „Lust for Life“ in mein Ohr. Und im Refrain zusammen mit Stevie Nicks:

But we’re just beautiful people
With beautiful problems, yeah
Beautiful problems, God knows we’ve got them
But we gotta try (lie-la-lie)
Every day and night (lie-la-lie)

Lana ist Inbegriff des Ennui unserer Zeit. Oder zynisch. Mit ihr summe ich den Abgesang auf die Zivilisation. Anstatt einen Marsch auf Brüssel zu starten, um die Politiker zu zwingen, sofort zu handeln.

Luxusprobleme

Für die nächsten Stunden stecke ich in einem ICE fest, fröne meinen Luxusproblemen (pünktliche Züge, nicht minus sondern plus 20° Temperatur, Ruheabteile ohne kreischende Kinder) und genieße die Zeit, die ich habe, um endlich Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck fertig zu lesen. Darin schildert die Schriftstellerin schonungslos, was illegale schwarze Flüchtlinge in einem der mächtigsten und erfolgreichsten Länder der Welt erwartet: Ablehnung.

Weil ich Sonntagabend Dream of Life über Patti Smith gesehen habe, schließe ich aufgebracht-inspiriert:

Schämt Euch
Schäm Dich
Ich schäme mich
Nicht genug zu tun

Kleinreden
Nicht genug tun
Schuld
Nicht genug
Scham
Nichts

7 Kommentare

  1. Hat dies auf Mia.Nachtschreiberin. rebloggt und kommentierte:
    Liebe Urs,
    ein tolles Buch, genial geschrieben, eines, das beschämt, ja, weil es möglich ist, hier bei uns in Deutschland.
    Ein Lied, das einen gähnen lässt und so oft als Titel über kurze Momente in meinem Tag steht: Langeweile, die ja keiner mehr hat, weil er noch schneller von A nach B kommen möchte, um noch mehr zu arbeiten und noch mehr auszugeben für noch mehr Dinge, die er nicht braucht, um dann über Luxusprobleme zu jammern, die er ohen all diese Dinge nicht hätte … Leichtes Gepäck, immer so viel, dass du jederzeit weiterziehen könntest, eine spannende Idee eines Lebensentwurfes …
    Kenne ich immer dann besonders von mir, wenn mich das Sommerloch
    Und dann höre ich ihn wieder: I Have a dream … Sehe eine junge Frau schreiben: „Wie ich unser Projekt beschreiben würde? Ganz einfach, zwei Stunden in der Woche können alles verändern.“ Jenny, 16 Jahre, Schülerin bei den Change Writers.
    Und ich bewege meine A… und setze mich an den Schreibtisch und fange wieder damit an, womit wir nie aufhören sollten, immer wieder aufstehen und schreiben und aufstehen und schreiben und aufstehen und schreiben und aufstehen und schreiben …
    Schwindlige Grüße,
    Mia

    Gefällt 1 Person

  2. Lieber Urs,
    ich genieße manchmal das Zug fahren, weil ich mich dann wie in einer Zeit- und Raumblase fühle. Die Welt hält an, Nicht ich bewege mich, es bewegt sich draussen vor den Scheiben. Die Zeit vergeht in einem anderen Tempo. Ich fliege durch Watte, ohne Bindung an mein Leben da draussen. Leider kann ich aber dann die nölenden Gören, die handilierenden Geschäftsmänner, die SUVs an den Schranken, die Windparks vor dem Fenster nicht lange ignorieren und falle unsanft in die Realität zurück.
    Liebe Grüße
    Anne

    Gefällt 1 Person

    • Liebe Anne,
      Zugfahren macht eigentlich großen Spaß. Würde das Unternehmen dahinter nicht Privatwirtschaft spielen und könnte man sich auf’s Ankommen verlaßen. Aber die Deutsche Bahn braucht mittlerweile leider mehr Geduld als die Italienische in den 80ern… Aber: Man kommt in der Not seinen Mitreisenden näher und das ist besser als sich Anschweigen.
      Herzlich, Urs

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  3. Lieber Urs,

    im Zug sitzen und draußen die Landschaft an sich vorbei gleiten lassen, hat schon eine besondere Stimmung. Ich fahre oft mit dem Zug und mag dieses Gefühl von einer Zwischenwelt (wie es Anne auch beschreibt).

    Es gibt einem Distanz zur Welt da draußen – und man hat Muße für globale Reflexionen – so wie du uns über das starke Foto von Vreni Spieser zum Atom-Erbe unserer heutigen Gesellschaft für die nächsten 100.000 Jahre führst (die Doku „Into Eternity“ muss ich mir unbedingt mal ansehen). Auch dem Leid von Flüchtlingen direkt vor unserer Haustür kann man sich zuwenden – lesend und/oder schreibend, vielleicht sogar handelnd.

    Aber auch ich gehöre zu den Menschen, die sich gerne von ihren eigenen „Luxusproblemen“ ablenken lassen. Muss ich mich dafür schämen?
    Ich glaube, diesen Zwiespalt kennen die meisten von uns.

    Danke für deinen nachdenklich stimmenden Beitrag.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

    Gefällt 1 Person

    • Liebe Ulrike
      Naja, unsere (echten) Probleme sind natürlich nicht weniger dringend für uns, aber manchmal muss ich mir schon auf die Finger hauen, angesichts von Menschen, die mit Gummibooten nach Europa reisen müssen, weil sie anders nicht dürfen (weil wir so rassistisch sind, dass offene Grenzen eben nicht für alle gelten) und ich rege mich fürchterlich auf über eine Stunde Verspätung der Bahn. Und ja, momentan schäme ich mich wieder sehr, dass ich nicht mehr tue. Dass ich mich mitschuldig mache an diesem Wahnsinn, der sich nicht nur an Europas Grenzen sondern auch innerhalb dieser abspielt.
      Und dann auch noch das tue, was alle tun: sich auf ’social media‘ empören…
      Nun gut, ich werde wieder aktiver sein. Weil Zuschauen mir nicht genügt.
      Liebe Grüße, Urs

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