Rückführendes Voguing einer Königin der Nacht
Es gab eine Zeit, da umflatterte manch exaltiertes Kleidungsstück meinen hageren Körper. Dachte ich, als ich gestern an der Premiere des Dokumentarfilms Berlin is Burning im Wedding war und all die gestylten jungen Leute sah.
Der anrührende Film porträtiert Mitglieder der Voguing-Gruppe Future V, ein Projekt von und mit queeren Geflüchteten und Freunden.
Ende 80er begannen in New York schwule Schwarze und Latinos an Bällen Posen von Vogue-Models nachzustellen und entwickelten daraus den gleichnamigen Tanz. Der Film Paris is Burning dokumentiert diese Zeit wunderbar und ist ein Meilenstein schwuler Geschichtsschreibung. Madonna hat den Trend mit ihrem Video „Vogue“ breit bekannt gemacht.
1991, ich hatte mich noch nicht geoutet, reiste ich endlich in die Stadt meiner Träume und schwenkte meine Hüfte zum ersten Mal zu Housemusik. Das Mekka der Clubszene war damals das Limelight in einer alten Kirche. Ich trug die Haare schulterlang, ein rabenschwarzes schmales Brillengestell und zog mein bestes Rüschenhemd an. „Tu gar nicht erst so, als würdest Du reinwollen“, riet mein New Yorker Freund.
Das Taxi hält, vor dem Club ein riesiger Pulk Leute, vor der Tür thront eine Drag Queen. Wir zünden uns eine Kippe an und atmen einmal tief ein, als ein „You!“ erschallt und sich alle zu uns umdrehen. „You and you!“ kommandiert die Türqueen. Der Pulk teilt sich und wir schreiten wie Moses durchs Rote Meer in die Kirche in der wir allerlei Sündiges erleben werden.
Ein paar Jahre später, meine Haare waren kurzgeschnitten und mandarinenorange gefärbt, betrat ich mit einem leopardengemusterten Kunstfelljäcklein erneut einen Flieger nach NYC. Die Immigrationsbeamtin begrüsste mich mit einem „I like your hair!“.
Eines abends besuchten wir die Bar d’O im Village. „Schau, da sitzen CK und Bianca (Jagger)“, tuschelte mir mein Freund zu. Ich war hin und weg von der Show der Dragqueens, die alle live sangen, ging danach auf eine zu und schwärmte, wie toll ich das fände. „Oh thank you, honey!“
Der Abend endete im Jackie 60 im Meatmarket-District. Das Motto der Party war Mermaids on Heroin. Auf der Bühne wurde wild rumgevögelt, eine Queen trug Aquarienkugeln als Brüste mit echten Goldfischen drin und beleuchtbar. Auch die Drag aus der Bar d’O war dort, sie nahm mich am Arm und führte mich allen vor wie eine Trophäe: „He came all the way from Switzerland, look how sweet!“ Auf dem Klo streckte sie mir ihre koksgesäuerte Zunge in den Rachen und lachte immer wieder ihr verrauchtes Lachen „so sweet“. Erst Tage später, als ich mir einen Partyflyer genauer anschaute, realisierte ich, dass das der legendäre Joey Arias war.
Oh, ich durchtanzte viele Nächte auf dieser Welt. Die Tanzfläche ist mir ein Zuhause geblieben. Und manchmal fühle ich mich immer noch wie eine Königin der Nacht. Besonders wenn ich in wohligen Erinnerungen schwelge, angestachelt von halb so alten, die das weiterführen, woran ich immer glauben werde: Tanzen verbindet Menschen jeder Couleur.
It’s as simple as that.
„Yaaaaaas bitch!“ höre ich Junge rufen.
Lieber Urs,
mit deinem Titel hast du mich zum Klicken verführt, versuche ich doch gerade ein Exposé (für einen Erzählband) zu schreiben. Jetzt bin ich zwar nicht weiter, dafür für ein paar Minuten wunderbar unterhalten:) Da könnte ich glatt meinen wunden Leib vergessen und mich in eine Partynacht stürzen, egal ob mit Promis, Drags, Koks oder ohne. Und ob du es glaubst oder nicht, orange Haare (Mitbringsel aus London) und Leopardenhöschen trug ich auch mal. Ach ja, die Jugend.
Lass et krachen, Amy
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Liebe Amy, nix wie los, es geht auch ohne Leopardenhöschen noch bestens :-)
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Lieber Urs,
vielen Dank für’s Party-Hopping! Ich sag’s ja, es sollte insgesamt vielmehr getanzt werden! Und wie gern hätte ich dich in all deinen exaltierten Kleidungsstücken gesehen! :D
lg. mo…
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Lieber Urs,
du warst mit deinem mandarinenorange gefärbtem Haar und im Leoparden-Kunstfelljäcklein bestimmt ein echter Hingucker. Aber deine Lebensfreude und dein Tanztemperament sind ja offensichtlich nicht an Mode und Alter gebunden – rock on!
Die Queen mit den Aquarienkugeln als Brüste mit echten Goldfischen drin und beleuchtbar – herrlich! Das setzt wirklich einen neuen Standard für „extravagant“.
Freue mich auf weitere königinnen-liche Beiträge von dir.
Herzliche Grüße
Ulrike
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